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STEIRISCHE RADSPORTGESCHICHTE
Auf dieser Seite erfährst du alles über die historische Entwicklung des Radsports in der Steiermark!
Die Anfänge
Die Vor-Läufer
"Demjenigen, welcher das Fahrrad erfunden hat, gebührt der Dank der ganzen Menschheit", sagte der englische Lord Charles Beresford. Und dies führte zur Frage: "Wer hat das Fahrrad erfunden?"
Bei Beantwortung dieser Frage stellt sich aber heraus, daß es nicht ein gewisses, einzelnes Individuum gewesen ist, welchem die Palme des Verdienstes dieser Erfindung gebührt, oder der auf den erwähnten "Dank der Menschheit" einen Anspruch erhebern dürfte, sondern daß das Fahrrad, so wie es jetzt dasteht, eine lange Periode der Entwicklung der verschiedensten Art durchmachen mußte, und es einer langen Reihe von Erfindungen, einer nach der anderen, bedurfte, um in Verbindung derselben miteinander einen der interessantesten Artikel in der Geschichte der mechanischen Wissenschaft herzustellen.
Forscht man den allerersten Anfängen eines solchen Dinges, welches dazu dienen sollte, dem Menschen seine Fortbewegung zu erleichtern oder zu beschleunigen, nach, so finden wir eine allererste Spur auf französischem Boden. Am Ende des 17. Jahrhunderts, im Jahre 1693, spricht ein Herr Ozanam, ein Mitglied der "Königlichen Akademie der Wissenschaften", von einem "mechanischen Fuhrwerke", dessen sich einer seiner Freunde, ein Art zu Rochelle, bediente. - "Ein Lakai", erklärte er, "sitzt hinten und drückt auf zwei Hölzer, die mit zwei Rädern in Verbindung stehen und auf einer gemeinschaftlichen Achse sich drehen."
Dann hatte im Jahre 1790 ein M.Sivrac eine Maschine hergestellt, welche er "Celerifere" (nach dem Lateinischern Celer = schnell und fero = tragen) nannte. Dieser Apparat bestand nur aus drei Holzteilen, einer hölzernen Stange nämlich und zwei daran angebrachten Rädern, welche in Gabeln standen, die jedes Ende der Stange bildeten. Ein Sattel oder Kissen auf dem Rücken dieses hölzernen Pferdes, als Sitz für den Fahrenden, und darauf - ging´s damit vorwärts!
Im Jahre 1818 verbesserte der Deutsche Baron von Drais, der Landwirt und Ingenieur zu Sauerbrunnen bei Frankfurt/Main war, das "Celerifere" wie folgt: der Vorderteil wurde daran nicht mehr fest auf die Tragstange aufgesetzt, auf welcher der Fahrende saß, sondern wurde mit derselben durch einen Drehstift verbunden, sodaß man ihn darauf nach rechts und links schwingen konnte. Von da an war es deshalb nicht mehr nötig, den Kopf dieses Holzpferdes nach links oder rechts zu drücken, um die Maschine in die gewünschte Richtung steuern zu können; sondern mittels einer leicht zu handhabenden Lenkstange war man imstande, das Vorderrad, welches nun das "Steuerrad" wurde, nach welcher Richtung der Fahrende es wünschte, zu lenken.
Baron Freiherr von Drais (1775-1851)
Wie die Geburtstunde des Fahrrades insgesamt schwer auf ein Datum und eine einzige Erfindung festzumachen ist, so sind auch die Anfänge der Fahrradgeschichte in Graz und der Steiermark nicht zu fixieren. Zum Teil herrscht auch noch Forschungsbedarf wie etwa im Fall der Erfindung des Grazers Ignaz Trexler, der 1784 eine frühe Fahrmasachine konstruiert haben soll. In einer zeitgenössischen Zeitungsnotiz liest man über seinen "Wagen ohne Pferd, dessen Räder der Fahrende mit den Füßen zu treten hat".
Spärlich sind die Informationen über die Verwendung von Draisinen, also jene Baron von Drais zugeschriebene Laufmaschine (patentiert 1818), die von ihrem Reiter durch das ausschreitende Abstoßen mit den Beinen vom Boden angetrieben wird. Ein Prunkstück ist in der Sammlung des Landesmuseums Joanneum erhalten geblieben, das aus dem Besitz des steirischen Prinzen Erzherzog Johann stammt.
Erzherzog Johanns Laufmaschine im Landesmuseum Joanneum
Baron von Drais erfreute sich aber nicht lange seiner Erfindung. Neider, Spötter und anderes gewissenlose Gesindel, das ja allenthalben den Spuren von Erfindern folgt, vergällte ihm die Freude an seiner Erfindung. Er gab sein Veloziped auf, zog sich welt- und menschenfeindlich zurück und starb im Jahre 1851 in gänzlicher Zurückgezogenheit. Man darf aber nicht vergessen, daß gerade Herr Baron von Drais´ Name eine hervorragende Stelle in der Geschichte des Fahrrades einzunehmen verdient.
Die zweite aus der Steiermark bekannte Original-Laufmaschine stammte aus Gußwerk und tauchte auf einem Foto des 1897 gegründeten Fahrrad-Vereins Gußwerk auf. Sie dürfte wohl einem Gewerken - eventuell auch Erzeuger - aus dieser Gegend gehört haben und unterscheidet sich wesentlich vom Burg-Modell des Erzherzogs. Das Objekt ist im Zuge einer Nachlaßverwertung 2004 von einem deutschen Sammler gekauft worden.
Gußwerker Draisine
Von der Laufmaschine zum Veloziped
Konkrete Nachrichten gibt es über die nächste Generation der Fahrrad-Vorfahren, das Veloziped, das in Frankreich durch Michaux und Lallement in den 1860er Jahren entwickelt worden war. Der Pedalantrieb direkt über dem Vorderrad "enthob" die Füße dem Boden und verwandelte die dem Tretrollerfahren verwandte Bewegung der "Schnelläufer" auf der Draisine in eine kurbelnde der Velozipedisten. Gleich der erste bekannte Grazer Bericht, gedruckt am 7. Mai 1869 in der "Tagespost", läßt die Probleme erahnen: "Die städtische Civilwache hat nun strengste Weisung zur Abstellung dieses Unfuges erhalten und hat gestern Nachmittag einen widerspenstigen Velocipedisten sammt seinem Instrumente zur Sicherheitsbehörde gestellt."
Velozipedist, Graz, 1870
Etwa ein Jahrzehnt später trat das Hochrad seinen - kurzen - Siegeszug an. Die Gründung des Grazer Bicycle Clubs (GBC) am 6. Dezemberr 1882 markierte den Beginn des organisierten Fahrradwesens in hiesigen Breiten. Ein Wiener, Ernst Brömer-Elmerhausen, Gründungsmitglied des Wiener Bicycler-Clubs, gilt als Initiator: er war Anfang September per Hochrad nach Graz unterwegs und traf an ddr Weinzödlbrücke einige Mitglieder des Klagenfurter Ruderklubs "Nautilus", die sich an ihrem Studienort Graz in die Riemen legen wollten. Zumal sich die Mur zur Ausübung dieses Sports nicht wirklich eignet, disponierten die jungen Sportsmänner um und gründeten den ersten Bicycle-Club.
Hochradtouristen in Mariazell
Brömer-Elmerhausen blieb eng mit Graz verbunden: er gewann für den GBC Rennen, wurde dann Ehrenmitglied und unterhielt eine Filiale seiner Fahrradhandelsfirma im alten Postgebäude (heute: Steinfeldhaus) am Jakominiplatz.
Erster Obmann des GBC war mit Ernst Wlattnig einer der verhinderten Kärntner Ruderer. Im Auftrag seines Arbeitgebers, der Südbahn-Gesellschaft, mußte er allerdings Graz schon im Herbst 1884 wieder verlassen.
Erste Rennen auf Straße und Bahn
Festliche Vorführungen, die "Akademien" genannt wurden, fanden reges Publikumsinteresse. 1884 initiierte der GBC den Bau einer Rennbahn für Rennen und Corsofahrten im Park der Industriehalle, die mit einer Länge von 690,3 m die längste des europäischen Festlandes war. Das erste Bahnrennen, das 1. Bicycle-Meeting, fand im Juni 1884 mit Bi- und Tricyclemeisterschaftsrennen statt. Schon im Jahr zuvor, am 14. Oktober 1883, fand das erste Straßenrennen in der Steiermark auf der Strecke Graz - Bruck/Mur - Graz statt. Der Sieger August Wagner benötigte für die 100 km 5:44 Stunden.
Auf der ersten Grazer Bahn. Einziges bekanntes erhaltenes Foto von der alten Grazer Radrennbahn im Park der Industriehalle. Aus Elek Vajda "Graz, wie es einmal war", 1963
Weitere Klubs der Hochrad-Ära waren neben dem GBC der Grazer Radfahrer-Club (gegründet 1885) und dedr akademisch-technische Radfahr-Verein (1887), im übrigen Kronland Steiermark die Bicycle-Clubs von Marburg und Liezen (1883), von Knittelfeld, Bruck/Mur und Gleisdorf (1884) sowie von Weiz (1885). Dazu kamen noch der Cillier und der Leobner Radfahr-Verein wie auch der Fürstenfelder Zweirad-Club, 1886 aus der Taufe gehoben, der Verein der Leibnitzer Radfahrer, der Pettauer Bicycle-Club sowie der Judenburger RV sowie die Radfahrer-Clubs von Marburg und Voitsberg (1887).
Max Kleinoscheg mit Schwester, 1885
Wegweiser und Wirtshausschilder
Der 1887 gegründete Steirische Radfahrer-Gauverband setzte sich als Dachorganisationen für die Interessen der Touren-Radler ein, erarbeitete ein Warnhin- und Wegweisersystem und empfahl seinen Mitrgliedern radlerfreundliche Gaststätten wie den Grünwirt in St.Stephan am Gratkorn oder den Tomahan in Friesach.
Steirischer Radfahrer-Gauverband, 1890
Stark frequentierte Hotels und Gasthäuser legten auch Fremdenbücher des Gauverbandes auf, in die sich Radlerinnen und Radler mit Namen, Tourendaten und eventuell einem Spruch eintragen konnten. Drei davon - jene von Fürstenfeld ("Brauhaus"), Burgau (Gasthof Postl "Zum Hirschen") und Palfau (Gasthaus "Zur Kaisergemse") - sind bekanntermaßen erhalten geblieben.
1. Clubpartie des Grazer Radfahrerclubs 1896
(aus: Radfahrer-Club-Chronik Nr. 413, Blatt zu R-Chronik IX/30/1896, 419)
Durch die Milde des Winters und die Trockenheit der Straßen sah sich der Fahrwart veranlaßt, gleich den ersten Kalendertag des Jahres 1896 zu einer gemeinsamen Ausfahrt nach St.Stefan zum Besuche unseres Mitgliedes Hans Rinner zu benützen. Nach 2 Uhr nachmittags fuhren unter Führung des Fachwartes Fritz Körösi die Mitglieder Büchner samt Frau, Jausner, v. Meiller, Patschke, Schiller, Schichtinger, Seeger und Wurm per Rad nach St. Stefan.
Gasthaus "Grünwirt", Ausschnitt aus einer Ansichtskarte, 1906
Die Witterung war herrlich, die Straße glatt wie ein Tisch und staubfrei. Die Sonne bestrich mit ihren goldenen Strahlen die vor uns liegenden beschneiten Bergspitzen und die Luft war so rein und klar, daß es wahrhaft eine herrliche Fahrt war. Nachdem wir uns beim Rinner häuslich niedergelassen hatten, kam der weitere Teil der Clubpartie nach. Dies waren die bequemeren Mitglieder (...) Gerger samt Frau, welche es vorgezogen haben, statt frei und unabhängig mittels eigener Muskelkraft ihr selbstständiges Fahrzeug zu lenken, lieber eingepfercht wie Pökelheringe von Hinkergäulen sich schleppen zu lassen. Als Gast hatten wir unser ehemaliges Mitglied Belec in unserer Gesellschaft, welcher leider nicht auf seiner Rennmaschine mitfahren konnte. Ein guter Sporn für Rennfahrer sind verlockende Preise, doch unser Belec trägt jetzt andere Sporen, diejenigen, welche ein Schlachtroß seinem Willen unterordnen.
Hans Rinner um 1890
Bei fröhlichem Gesang und Becherklang verflog die Zeit sehr rasch. Schon hatte der Mond in seinem Silberglanze die herrliche Landschaft beleuchtet, als die Gesellschaft zur Heimfahrt rüstete.
Am Rückweg wurde noch beim Kapellenwirt im Weingärtl eingekehrt, um die eventuell eingeforerenen Gemüter bei köstlich mundendem Glühwein aufzutauen. Sämtliche Teilnehmer waren entzückt von der herrlichen Neujahrsausfahrt. Hoffen wir, daß sich der günstige Anfang der Clubpartien im Jahre 1896 fortsetzen möge...
Rinner um 1910
Zur Erläuterung: Hans Rinner (1871 - 1928) war Radpionier, Funktionär und Besitzer des"Grünwirts" in St.Stefan am Gratkorn, heute Gratkorn, Bruckerstraße 22. Srein Lokal war unter den Radler/innen sehr beliebt, er selbst gründete 1904 den RV St.Stefan am Gratkorn, später "Kornähre Gratkorn". Dieser richtete ab 1934 das "Hans-Rinner-Gedenkrennens" aus. Weiters finden in dem Artikel die GRC-Racer Ignaz Belec, Bruno Büchner (1871 - 1943) und Franz Gerger (1867 - 1938) Erwähnung, wobei letztere den damals großen Namen von Graz als Radsportplatz mit begründeten und international erfolgreichen Rennen bestritten.
Gerger - Fuchs - Belec
Bruno Büchner - Franz Seidl (Wien), erfolgreiches Tandem-Team
Johanns Draisine
Der Fahrradhistoriker Walter Ulreich, der das Objekt aufgrund verschiedener Merkmale bezüglich seiner Herkunft eindeutig zugeordnet hat, sieht in ihm "die einzige und komplett erhaltene und original für Erwachsene gebaute Draisine, die von Anton Burg und Sohn bekannt ist". Das Objekt besticht durch sorgfältige Verarbeitung und einem gelb-grün lackierten hölzernen Rahmen, der als Seeschlange ausgeformt ist und vor allem mit dem Schlangenkopf als "Galionsfigur" beeindruckt. Nur die vorderen Spangen (Gabel), die Griffstange sowie die Beschläge (Reifen) der Speichenräder sind aus Eisen. Sattel und Armstütze (Balancierbrett) sind gepolstert und mit Leder überzogen.
Wie auf der Inventarkarte beschrieben, soll die Anfertigung wahrscheinlich nach Maß, d.h. nach Angaben des Erzherzogs erfolgt sein.
Es ist sehr unwahrscheinlich, daß der "steirische Prinz" das Vehikel jemals in der Steiermark gefahren ist. Sicher hingegen ist, daß die Edel-Laufmaschine durch eine Schenkung des Fürsten Johann von und zu Liechtenstein 1911 in den Besitz des Joanneums gekommen ist. Sie stammt von Schloß Thernberg (NÖ), das 1807 bis 1828 im Besitz des Erzherzogs war. Daß sie nur dort gefahren wurde, erscheint plausibel, zumal diese (Sport-)Geräte einerseits wegen ihrer kostspieligen Anschaffung und andererseits infolge der allgemein schlechten Straßenbeschaffenheit vornehmlich in Parks von Vertretern des Adels (und des begüterten Bürgertums gefahren wurden.
Erzherzog Johanns Draisine besticht durch Eleganz
Bei der Laufmaschine aus dem Besitz von Erzherzog Johann (1782 bis 1859) handelt es sich um das interessanteste in Österreich erhalten gebliebene Modell eines Fahrrad-Vorläufers, gefertigt um 1820 mit großer Wahrscheinlichkeit von der Wiener Firma Burg. Die "K.K. Hofackerwerkzeug- und Maschinenfabrik Anton Burg und Sohn" hatte 1818 nach Vorbild der von Karl Friedrich Freiherr Drais von Sauerbronn konzipierten Laufmaschinen die Produktion dieser ersten, ohne tierische Kraft auskommenden Landfahrzeuge aufgenommen.
Seeschlangen-Kopf
Sattel-, Bauch- und Armstütze
Schlangenschwanz
Die Hochrad-Sammlung des Landesmuseums Joanneum
"Sein größter Schmerz ist die Altersschwäche seines Hochrades, das er nun für seine Wanderfahrten mit dem Niederrad vertauschen mußte, für das er sie nie begeistern konnte." Diese Zeilen über Franz Mlaker, die 1927 anläßlich seines 60. Geburtstages im "Steirischen Radsport" zu lesen waren, werfen nicht nur ein Schlaglicht auf eine wichtige und, so scheint es, eine etwas schrullige Figur der frühen Grazer Radlersezene, sie erschließen auch bis zu einem gewissen Grad die Geschichte eines jener Hochräder, die sich im Besitz des Landesmuseums Joanneum befinden.
Interessierte Depot-Besucher
Sechs Vertreter eines Fahrzeugtyps, der einerseits die Ära des Fahrrades erst wirklich begründete, sich andererseits aber schon nach nicht einmal zwei Jahrzehnten Ende des 19. Jahrhunderts als Sackgassen-Entwicklung erweisen sollte, fristen - neben gefragteren Objekten wie Erzherzog Johanns Draisine und das Holzrad von St. Peter am Kammersberg - im Depot in der Lastenstraße ein Schattendasein.
Max staunt
Das erste Bicycle kam 1882 nach Graz
127 Jahre ist es her, daß Graz erstmals ein Bicycle (= Hochrad) sah. Ein Wiener, Ernst Brömer-Elmerhausen, brachte die neue Errungenschaft an die Mur, Kärntner Studenten gründeten am 6.12.1882 den Grazer Bicycle-Club (GBC), den dritten Radverein der Monarchie.
Ernst Brömer-Elmerhausen
Ernst Brömer-Elmerhausen, Gründungsmitglied des Wiener Bicycle Club und "Pfadfinder des Radsports in Wien", war Anfang September per Hochrad nach Graz unterwegs und traf an der Weinzödlbrücke (die heutige Weinzödlbrücke befindet sich 600 m flußabwärts, Anm.) einige Mitglieder des Klagenfurter Ruderclubs "Nautilus", die an ihrem Studienort Graz einen Ruderclub formieren wollten. Zumal sich die Mur für diesen Sport nicht wirklich eignete, disponierten die jungen Sportsmänner spontan um und gründeten einen Bicycle-Club.
Inserat in der "Tagespost" 1887
Schon vor der Gründung des GBC, am 16. November, trat Brömer erstmals öffentlich in der Grazer Industriehalle auf, und zwar mit einem Wiener Kollegen und vier Grazer Bicyclisten, was medial sehr positiv kommentiert wurde. 1883 leitete er die erste mehrwöchige Reise, die von österreichischen Radfahrern unternommen wird, nach Venedig. Im folgenden Jahr war er gemeinsam mit Ernst Wlatnigg nach Triest unterwegs, am 20. u. 26. 10. 1885 fuhr er an einem Tag Triest-Mestre und zurück (jeweils 228 km).
Ernst Wlattnig
Kärntner als GBC-Obmann
Besagter Ernst Wlattnig (1858 - 1930) war als einer der "gestrandeten" Kärntner Ruderer erster Obmann des GBC. Nach seinem Studium an der Technischen Universität verließ er Graz allerdings schon im Herbst 1884 berufsbedingt wieder. Er wurde Oberinspektor bei der Bahn und spielte im sportlichen und gesellschaftlichen Leben seiner Heimatstadt Klagenfurt eine große Rolle.
Wlattnig war aktiver Eisläufer, später Lehrer einiger bekannter Eissportler und Förderer der Volksmusik. Er organisierte zahlreiche große Wohltätigkeitsveranstaltungen. Nach ihm ist eine Straße in Klagenfurt benannt.
Ruf von Graz als Radsport-Hochburg begründet
Dem GBC ist es zu verdanken, daß Graz Ende des 19. Jahrhunderts den Ruf einer Hochburg des Radsports in der österreichisch-ungarischen Monarchie erwarb. Das erste Straßenrennen in der Steiermark wurde am 14. Oktober 1883 abgehalten, am 14. April 1884 eröffnete der GBC seine eigene Rennbahn im Park der Industriehalle - die erste Österreichs und mit einer Länge von 690,3 m die klängste des europäischen Festlandes, wo dann auch die ersten der legendären internationalen Pfingstrennen ausgetragen wurden. Im Kunstfahren errang Hubert Endemann mehrfache Meistertitel.
GBC 1892
Was die sportlichen Erfolge betrifft, übernahmen in den folgenden Jahren der Grazer Radfahrer Club und der Akademisch-technische Radfahrer-Verein - vom GBC abgesprungene Akademiker - die Federführung. 1894 kam es mit der Gründung des Grazer Bicycle Club von 1894, in dem noch strengere Amateurregeln gepflogen wurden, zu einer weiteren Abspaltung. Die bürgerlichen Vereine gerieten in die Krise, 1899 mußte das eigene Klublokal geschlossen werden, die neue, gemeinsam mit GRC und AtRV betriebene Rennbahn wurde schon davor aufgegeben. 1907 stand der GBC knapp vor der Auflösung - diese wurde dann 1938 mit der Eingliederung aller Vereine in den Deutschen Reichsbund für Leibesübungen des NS-Regimes endgültig besiegelt.
Franz Mlakers Hochrad
Franz Mlaker, geboren am 10. 1. 1867 in Kirchbach in der Steiermark und im Zivilberuf Buchhalter, zuletzt Direktor des ehemaligen Bürgerspitals, lernte als 20jähriger, fünf Jahre, nachdem in Graz erstmals ein Hochrad aufgetaucht war, radfahren - offenbar schnell und perfekt, denn noch im selben Jahr wurde er Gaufahrwart des Steirischen Radfahrer-Gauverbandes. Der Grazer Radpionier Max Kleinoscheg hatte ihn aufs Rad gebracht, wenngleich Mlaker nicht dessen Grazer Bicycle Club (GBC), sondern dem weniger elitären Grazer Radfahrer-Club (GRC) beitrat und für diesen einige Rennen, u.a. 1888 bis 1890 die Steirischen Straßenmeisterschaften über 50 km, gewann. Eine Fachzeitung bezeichnete ihn 1890 als "einen unserer strebsamsten Rennfahrer unserer Monarchie" und "einen der besten Vertreter steirischen Rennsports".
Franz Mlaker
Als sich 1892 konservative Kreise, die dem Herrenfahrertum huldigten und sportlich gegen eine Professionalisierung auftraten, vom GRC abspalteten und den Radverein "Grazer Tourenfahrer" gründeten, war Mlaker dabei. Gemeinsam mit Gustav Bloos prägte er die Geschicke dieses Verins, und zwar zwischen 1897 und 1920 über viele Jahre als Obmann. Aus seinem Besitz stammt jenes Exemplar vom "'Handbuch des Bicycle-Sports" von Victor Silberer und George Ernst, das von Walter Ulreich 2004 als Reprint neu herausgegeben worden ist.
Mlakers Hochrad
Wie aus besagtem Artikel aus den 1920er-Jahren hervorgeht, hat Hochrad-Fan Mlaker doch um diese Zeit umsteigen müssen. Um welches Fabrikat es sich bei dem an das Landesmuseum geschenkten, um 1890 gebauten Hochrad handelte, ist unklar - aus den schriftlichen Berichten geht hervor, daß Mlaker verschiedene Fabrikate und Typen gefahren hat - darunter auch ein Niederrad seines Klubkollegen Johann Puch, für das er im Puch-Katalog 1892 eine positive Referenz abgegeben hatte. Erkenntlich am Sammlerstück des Joanneum ist aber ein gröberer Schaden an der vorderen Felge, was den Verdacht nahelegt, daß Mlaker sein gutes Stück eben zu dieser Zeit über die Schenkung an das Joanneum "entsorgt" haben könnte.
Spuren zur Familie der Schriftstellerin Paula Grogger
Einen durchaus prominenten Bezug gibt es bei einem weiteren Objekt (Nr. 01744) aus der Hochradsammlung, das in eher schlechtem Zustand ist: es stammt aus dem Besitz von Franz Grogger, Gemischt-, Eisenwaren- und Fahrradhändler in Öblarn. Er dürfte das Hochrad wohl auch selbst gefahren sein, denn in einer Erzählung seiner Tochter Paula beschreibt er seiner nachmaligen Frau, welche Lust es bereite, auf einem Hochrad zu fahren und daß er selbst die Absicht habe, sich eines zu kaufen, wobei man dafür 300.- Gulden auslegen müsse. Im Folgenden ist auch beschrieben, wie Franz einige Zeit später mit dem Veloziped/Bicycle, offenbar schon einem Niederrad seines Freundes und Geschäftspartners Johann Puch, vorfährt und um die Hand seiner Marie anhält: "Er setzte wieder die Kappe auf. Und griff mit beiden Händen an die Lenkstange. In dieser Haltung machte er seinen Heiratsantrag."
Das Grogger-Rad
Ein um 1900 entstandenes Foto, das die Familie Grogger mit Zwei- und Dreirädern zeigt, wird von der Schriftstellerin als "ein Dokument für unser Familienleben" genau beschrieben. Das Hochrad hat Franz Grogger offensichtlich behalten und seinem Arzt Jakob Neubauer vermacht, der es seinerseits 1958 im Zuge einer Übersiedelung dem Landesmuseum widmete.
Lenker und Bremse
Über die anderen Hochräder gibt es derzet nur spärliche Hinweise. Zwei Objekte sind aus Holz gebaut und dürften Wagner-Anfertigungen sein. Eines, das durch die dreiseitigen Holzklotz-Pedale auffällt, ist ein Geschenk von Anna Wisiak (Nr. 23447), das andere (Nrt. 23367), bei dem Gabel und Lenkstange aus einem Stück Holz gemacht sind, wurde vom LMJ von Stefan Pauritsch aus Wieselsdorf angekauft. Bei beiden Objekten sind die Räder mit Eisen beschlagen und die Sättel mit Leder überzogen.
Familie Grogger
Holzrad, vermutlich hergestellt von einem Wagner
Holzrad aus Wieselsdorf
Pedale. Detail des Holzrades aus Wieselsdorf: Holzpedale und eisenbeschlagener Reifen
Dreiseitige Holzpedale. Detail vom Holzrad, das dem Landesmuseum Joanneum von Anna Wisiak geschenkt wurde
Stahl-Hochrad
Detail Stahl-Hochrad
Teile von "Singer & Co." und "Lucas & Son"
An einem der weiteren Stahlrohrrahmen-Räder (Ntr. 23448) - Donator Karl Beikert - fällt ein Nagelzieher hinter der Stangenbremse auf, ein anderes, mit Vollgummireifen ausgestattetes Modell (Nr. 2729), dürfte aus englischer Produktion stammen oder zumindest aus Teilen englischer Provenienz assembliert worden sein, worauf ein Schriftzug auf der Sattelfeder ("Singer & Co.") hinweist. Dieses Objekt, das optisch schönste der kleinen Sammlung, zeichnet sich durch eine dunkelrote Emaillierung, schöne Details wie eine an der vorderen Achse hängende Petroleumlaterne ("King of the Road" von Lucas & Son, Birmingham) und gedrechselte Holzgriffe sowie einen verhältnismäßig guten Erhaltungszustand aus. Es wurde 1963 um 1.500.- ÖS von Anton Hammer in Graz-Eggenberg erworben und könnte wohl früher im Fuhrpark des Eggenberger RV seine Dienste getan haben.
Eggenberger Hochrad
Insgesamt sind die sechs Hochräder nicht im besten Zustand, vor allem, was die Gummiteile betrifft.
Lucas-Lampe
Neben den Hochrädern gehört noch die Draisine des Erzherzog Johann, ein Prunkstück unter den Vorläufern des Fahrrades (um 1820) zur Kunstgeschichtlichen Sammlung. Komplettiert wird der fahrradhistorische Bestand des Landesmuseums Joanneum mit dem Holzrad des Almhirten Rupert Graimer aus der Volkskundlichen Sammlung.
Untersteirische Verhältnisse
Der erste Verein außerhalb von Graz entstand in der damals zweitgrößten Stadt des Kronlandes Steiermark, in Marburg (heute Maribor, Slowenien). Bei der Gründung des Marburger Bicycle-Clubs (MBC) am 25. Mai 1883 wirkte der Grazer BC wesentlich mit. Zweiter Klub in der Untersteiermark war der 1886 gegründete Cillier Radfahrer-Verein.
Gruppe in Marburg/Maribor. Hoch- und Dreiräder, 1880er-Jahre
Nach dem Vorbild des Grazer Verbandes für den Wettkampfsport wurde gemeinsam mit dem Marburger Radfahrer-Club (gegründet 1887) und dem Radfahrer-Club "Schwalben" (gegründet 1890) 1891 der "Verband der Marburger Vereine für den Wettkampfsport" ins Leben gerufen, der eine 333,3 m lange Rennbahn betrieb. Eine zweite Rennbahn entstand 1896 in Radein.
Marburger Radler
Um 1892 nahm der aus Bischofegg bei Eibiswald stammende Nähmaschinenmechaniker Franz Neger in Marburg die Produktion von Fahrrädern auf. Neger, ein enger Freund Johann Puchs, baute seine Fabrik bis zum Ende der Monarchie zur "Marburger Nähmaschinen-, Fahrrad- und Motor-Fabrik" aus. Die Neger waren in der Branche stark vertreten: Bruder Anton war Fahrradhändler in Cilli, Sohn Ernst war Fahrradteilegroßhändler in Graz, und der Vater der Schwiegertochter, der aus Frohnleiten gebürtige Johann Dirnbacher, betrieb in Agram eine Fahrrad- und Motorrad-Werkstätte.
Das deutsch-natiolnale und völkische Element war in der deutschsprachigen Minderheit der Untersteiermark stark ausgeprägt: der Cillier und Pettauer RV führten schon 1898 den Arier-Paragraphen ein. Relativ spät entstanden slowenische Vereine in Celje (Cilli) 1891 und Ljutomer (Luttenberg) 1897.
Liezen voran
Ältester Verein auf dem Gebiet der heutigen Steiermark außerhalb von Graz ist der 1883 gegründete Liezener BC: er veranstaltete 1884 und im Folgejahjr das legendäre "Obersteirische Bicycle Meeting", löste sich aber schon im Jänner 1888 wieder auf. Es folgten die Gründungen der Bicycle-Clubs von Knittelfeld, Gleisdorf, Bruck/Mur (1884) sowie Weiz (1885).
Abzeichen des Liezener RV. Ansteckabzeichen des Liezener RV von 1895.
1896 wurden der Fürstenfelder Zweirad-Club und der Leobner RV gegründet, 1887 traten der Judenburger RV, die Wildoner Radfahrer, der Leibnitzer RC sowie der Voitsberger RC an die Öffentlichkeit.
Ausseer RC. Gruppenbild Ausseer RC um 1895
Der Weizer BC änderte 1910 die Satzungen und führte den von Turnern erfundenen sogenannten "Arier-Paragraphen" ein. Abgesehen vom entsprechenden Zusatz im Vereinszweck, der "Hebung des völkischen Bewußtseins", wurde der Zugang beschränkt: "Mitglieder können nur deutsche Stammesgenossen und -genossinnen arischer Abkunft werden."
Deutsch-national eingefärbt war auch der Radkersburger RV (gegründet 1891), der binnen kurzem zum stärksten Provinz-Club avancierte:
"Auf dem Rad mit frischer Lust
Deutsches Fühlen in der Brust
Treu in brüderlichem Sinn
Laßt uns durch das Leben zieh´n."
Radeiner und Radkersburger Radler. Treffen von Mitgliedern des Radeiner und des Radkersburger RC 1896. Museum im Alten Zeughaus Bad Radkersburg
Insgesamt wurde gerne musiziert und gedichtet, wie etwa beim Fürstenfelder Zweirad-Club:
"Vom Fürstenfelder Zweirad-Club
da fährt ein kreuzfideler Trupp
im vollen Saus und Braus
in Gottes schöne Welt hinaus."
Die Ausseer Radler besorgten gleich zur Gründung am 26. Oktober 1891 im Hotel "Zum wilden Mann" einen kundigen Fahrmeister aus Graz: "Die Herren Schüler machen bedeutende Fortschritte in der Radfahrkunst", war kurz darauf in der "Alpen Post" zu lesen, "sechs Herren wagten sogar schon einen Ausflug und fuhren am 29. Oktober auf Biciclen aus der Fabrik Eibl (Albl, Anm.) in Graz von Steg nach Ischl."
Weizer BC. Weizer Bicycle-Club in Schmuck, 1906. Stadtarchiv Weiz
"Radlmacher" Janisch und andere Vorradler
Mit der Popularität des Radfahrtsports entwickelte sich in allen Landesteilen das entsprechende Gewerbe. Die Schlosser und Mechaniker beschränkten sich meist nicht auf Reparaturen, sie kauften Komponenten zu, fertigten Teile auch selbst und bauten Räder in Eigenregie.
Schlosserei und Fahrradedrzeugung Janisch. 1. Oststeirische Fahrraderzeugung Janisch in Ilz, Ansichtskarte, 1902. Sammlung Luise Janisch.
Der Ilzer Gewerbetreibende Ferdinand Janisch firmierte als "Erste Oststeiermärkische Fahrraderzeugung"; seine Nachfahren betreiben - neben dem Handel mit Kfz - heute noch eine Fahrradwerkstätte mit -verkauf. Auch Ferdinand Krobath in Feldbach und Karl Gingl in Fehring fertigten aus in der Regel zugekauften Teilen eigene Marken-Fahrräder.
Bannerträger
In Mürzzuschlag zählte die Industriellen-Familie Bleckmann zu den Radpionieren - das Hochrad von Eugen ist noch im Wintersportmuseum erhalten. Fabrikant Walter wurde 1895 Obmann des Mürzzuschlager Radfahrer-Clubs.
Mürzzuschlager Arbeiter. Die Ortsgruppe Mürzzuschlag des Steirischen Arbeiter-Radfahrerbundes, 1903. Am Dach im Hintergrund der Gruß der Arbeiter-Radfahrer "All frei!"
Das Radfieber hatte auch das Land erfaßt und brachte interessante Radlertypen hervor. So etwa Rupert Graimer, ein Almhirte aus St. Peter am Kammersberg, der vor der Jahrhundertwende skurril anmutende Holzräder baute oder der Dreher und Mechaniker Rupert Riedisser aus Peggau, der Anfang des 20. Jahrhunderts als "Phänomenal Cyclist" durch die Lande tingelte.
RV Pöllau. Ausfahrt des RV Pöllau, ca. 1910. Sammlung Karl Amerer
Hofinger Bauern. Bauern in Hofing, Oststeiermark, ca. 1930. Sammlung Hans Polzmann.
Nur "Kraxen"? Über einen Almhirten, der Ende des 19. Jahrhunderts Holz-Fahrräder baute
Dem "Autodidakten Peter Krainer" aus St.Peter in der Steiermark widmete das Cluborgan des "Oesterreichischen Touring-Clubs" in seiner 1. Ausgabe vom 1. April 1898 einen umfangreichen Bericht. Die Vorläuferorganisation des ÖAMTC brachte ihren Leserinnen und Lesern einen urigen Gebirgsmenschen näher ("Er spricht unverfälschtes Steirisch, das außer seinen engsten Landsleuten kein Mensch versteht, nährt sich hauptsächlich von Speckknödeln und verbringt den größten Teil des Jahres auf irgendeiner Alm"), der zum "innigen Verehrer des modernen Wunderdings Fahrrad" geworden war. Er habe ein Fahrrad konstruiert, das er selbst "Kraxen" nenne, es zwei Stunden ins Tal getragen, um es auf einer Straße auszuprobieren. "Mit den blitzenden Rädern der Stadtleut´ konnte Krainer allerdings nicht concourrieren, aber sein Rad ging doch, und wenn er durch das Dorf fuhr, ließ er alle die bloßfüssigen Concurrenten im Alter von 4 bis 16 Jahren hinter sich", heißt es in dem Artikel. Schließlich zog es ihn in die Hauptstadt - zwei Tage radelte er nach Graz. Daß er dabei 200 km zurücklegen mußte, deutete darauf hin, daß es sich beim genannten St. Peter um St. Peter am Kammersberg gehandelt haben muß.
Launig wird geschildert, wie er vor Graz eine kleine Auseinandersetzung mit einem Eisenbahnwächter hatte, der trotz der Erklärung, er sei der Peter Krainer aus St. Peter, den Bahnschranken nicht öffnen wollte. In Graz wollte er dem Katzenkopfpflaster ausweichen und benutzte das Trottoir. Einem Wachmann, der ihn daran hindern wollte, bedeutete er: "Wos geiht denn das die o. I fahr wo i mog. Weicha eh alle Leit aus."
Der Almhite wollte seine Graz-Visite mit einem Besuch bei "seinen räderbauenden Collegen" verbinden. "Mit der echten Verschlagenheit eines Bauern", wie ihm unterstellt wird, hatte er die Absicht, sein hölzernes Gefährt gegen ein eisernes umzutauschen. Er suchte die Styria-Fahrradwerke auf und wurde von Ingenieur Rumpf empfangen, der auch ein Foto von ihm und seiner Konstruktion anfertigte. Das Abenteuer endete damit, daß er von einem jungen Grafen auf dessen Schloß eingeladen wurde, wo es, seiner Ansicht nach, zu "gespreizt" zuging und er für die Nachtruhe - in Ermangelung einer Ofenbank - den Boden dem Bett vorzog. Dann kehrte er mit seinem Niuederrad zurück ins Dorf, wo er seine Geschichten dem staunenden Publikum auftischte.
Den unterhaltsamen, mit einem Augenzwinkern verfaßten Text heute, über ein Jahrhundert späterm, einer Quellenkritik zu unterziehen, ist schwierig. Daß die Geschichte zumindest im Kern stimmt, daß tatsächlich um 1898 die Reise eines Bauernburschen aus St. Peter auf einem selbst gebauten Holzrad nach Graz und dessen Eintausch gegen ein fabriksneues Fahrrad tatsächlich stattgefunden hat, dafür gibt es allerdings Belege - den prominentesten in Form des Holzrades, das im Besitz des Volkskundemuseums in Graz ist. Die Inventarkarte verzeichnet unter der Nr. 7431 als ein Geschenk der Puch-Werke von 1924 ein "primitives, hölzernes Fahrrad". Nach der technisch-konstruktiven Beschreibung heißt es unter Bemerkungen: "Dieses Fahrrad wurde im Jahre 1898 von Rupert Graimer aus der Pöllau bei St. Peter am Kammersberg hergestellt., Graimer erhielt für das Holzrad der Firma Puch ein modernes Fahrrad."
Aus dem Peter Krainer des Artikels wird hier Rupert Graimer, wobei zumindest die Nachnamen phonetische Ähnlichkeit aufweisen und die unterschiedliche Schreibweise daher rühren könnte, daß der Schreiber seine Story vom Hörensagen wiedergegeben hat. Fest steht jedenfalls, daß es einen Rupert Graimer gegeben hat, der am 27. März 1876 in Pöllau am Greim Nr. 3 geboren wurde.
Einn zweiter Unterschied betrifft den Fahrradfabrikanten, von dem er im Eintausch gegen sein Holzrad ein neues Fabrikat eingetauscht erhalten hat. Im ÖTC-Artikel empfängt ihn Victor Rumpf von den "Styria-Fahrradwerken", laut Inventarkarte erhielt er das moderne Fahrrad von der Firma Puch, und diese war es auch, die das eingetauschte Holzrad in den 1920er Jahren dem Volkskundemuseum stiftete. Nun, die Herren Puch und Rumpf hat es beide gegeben, sie waren sogar Weggefährten. Rumpf war an den "Joh. Puch & Cie. Styria-Fahrradwerken" beteiligt, er schlug sich jedoch 1897 auf die Seite der neuen deutschen Eigentümer der Styria-Fahrradwerke, die Berliner Masschinenfabrik Dürkopp. Von diesen wurde er als Werksdirektor eingesetzt, während Puch - vorübergehend - ausgebootet wurde. Später überflügelte übrigens Puch die Styria-Werke, die von Steyr (1934 mit Daimler-Puch fusioniert) übernommen und 1932 zugesperrt wurden.
Passierte die Reise des Holzradlers nach Graz wirklich 1898, dann scheint ein Besuch bei den Styria-Fahrradwedrken und Victor Rumpf plausibler. Johann Puch war zu dieser Zeit aus rechtlichen Gründen mehr oder minder zur Untätigkeit verurteilt, er produzierte 1897 bis 1899 seine "Original Styria-Räder" unter der Deckadresse seines früheren Werkmeisters Anton Werner (Werner & Co.).
Es liegt die Vermutung nahe, daß die Geschichte des geschenkten Objektes entweder nachträglich leicht geschönt und die ursprüngliche Schenkung der Styria-Werke Puch zugeschrieben wurde oder daß Graimer zwei "Kollegen" besucht und mit beiden getauscht hat. Für letztere Version spricht ein Umstand, der den gravierendsten Unterschied der beiden Quellen ÖTC und Volkskundemuseum ausmacht: ganz offensichtlich handelt es sich nämlich bei dem Holzrad aus dem Volkskunde-Bestand um eine andere Konstruktion als jene, die in der Zeitschrift - laut Beschreibung mit seinem Erbauer abgebildet und von Rumpf abgelichtet - zu sehen ist. Während es sich bei der Illustration zu dem Artikel um ein relativ einfaches Tricycle mit einem extrem breiten Tretkurbellager (auf das übrigens auch im Artikel hingewiesen wird, Anm.) handelt, ist das Volkskunde-Gefährt ein Zweirad mit Tretkurbeln. Das Besondere an diesem Modell ist, daß der Antrieb über das größere Hinterrad erfolgt, über dem der Fahrer thront. Eine absolut unübliche Konstruktion, die auf Experimentierfreudigkeit verweist oder aber schlicht darauf zurückzuführen ist, daß der Erbauer aus dem Gedächtnis ein Hochrad (mit direktem Antrieb und verschieden großen Laufrädern) mit einem um diese Zeit schon verbreiteten Niederrrad (Antrieb übersetzt auf das Hinterrad) kombiniert hat.
Bei dieser Interpretation bewegt man sich schon auf dem Boden der Spekulation. Wahrscheinlich ist, daß Graimer mehrere, unterschiedliche Holzräder gebaut hat - wie dies auch aus anderen ländlichen Gegenden bekannt ist -, sicher ist aber, daß nur eines erhalten blieb und dieses ein bemerkenswertes Modell mit interessanter Geschichte ist.
Was aus Rupert Graimer geworden ist, bleibt leider im Dunkeln: sein Eltetrnhaus geht in andere Hände über, er selbst scheint nicht unter den Erben auf und dürfte wohl, weil sich örtlich keine Spuren mehr finden, weitergezogen sein.
"Phänomenal Cyclist" aus Peggau
Rupert Riedisser, geboren am 25. März 1881 in Peggau, wuchs in einer Zeit auf, in der das Fahrrad zum Inbegriff des Fortschritts und der individuellen Mobilität geworden war. 1882 wurde mit dem Grazer Bicycle-Club der driitte Radfahrerverein der österreichisch-ungarischen Monarchie gegründet, bald folgten auch Gründungen außerhalb der Städte, wie beispielsweise 1889 im von Peggau nicht weit entfernten Gratwein. Mit der Ablöse des elitären Hochrades durch das Niederrad und der Einführung des pneumatischen Reifens begann um 1890 eine Blütezeit, wie sie von einem Ansichtskarten-Gruß aus Graz aus dem Jahre 1897 gut umschrieben wird: "Ganz Graz radelt und bicycelt, nur ich noch nicht; wird auch noch kommen."
Rupert Riedisser
Rupert Riedisser lernte Dreher und wurde Kunstradfahrer. Was ihn dazu bewogen hat, liegt im Dunkeln, ebenso wie seine Familiengeschichte und große Teile seiner Vita. Daß er überhaupt aus dem Meer der Namenlosen vergangener Generationen herausragt, ist dem Umstand zu verdanken, daß sein akrobatisches Talent mit einer großen Portion Marketingtalent gepaart war. So hat er in eigener Sache Werbung betrieben, indem er Bildpostkarten anfertigen ließ. Vier Sujets sind bekannt, die ihn selbst als Kunstradler zeigen, allerdings weniger im sportlichen, denn im unterhaltenden Milieu. Über diese Druckwerke, die offensichtlich in größerer Zahl in Umlauf gebracht wurden, läßt sich andeutungsweise der Werdegang des Peggauers nachvollziehen.
Bilderpostkarte, 1902
Eine Karriere in vier Bildpostkarten
Die älteste bekannte Postkarte hat Riedisser selbst geschrieben, und zwar am 5. März 1902 an die Mindener Zeitung. Sie zeigt neben einem Porträt sieben Figuren auf dem Zwei- und zwei auf dem Einrad, versehen mit dem Text: "Rupert Riedisser, modern cyclist, fährt PUCH-Rad aus Graz mit Continental-Pneumatic." Auf der in Hannover-Linden gedruckten und abgeschickten Karte erbittet er einige Exemplare der Mindener Zeitung der Ausgabe vom 15. Jänner 1902, in der es um einen Auftritt von Kollegen, der Kunstradfahrer Geschwister Bleckwenn, geht.
Mit dieser Karte als Beleg kann es als erwiesen gelten, daß Riedisser sehr früh sein kunstradfahrerisches Talent zu Geld gemacht hat und zumindest im deutschsprachigen Raum auf Tournee war. Durch die von Wilhelm Oppermann in Hannover-Linden fotografierte bzw. verlegte Karte fand Riedisser auch Eingang in das Buch "Hannover fährt Rad", in dem er als einer "im Bunde" dreier Kunstradfahrer erwähnt wird, die in diesem Raum zu gewisser Berühmtheit gekommen sein dürften, wenn auch nähere Angaben fehlen. Vielleicht waren es auch Engagements über Vermittlung des in Hannover ansässigen Werbepartners "Continental", die den Steirer in diesen norddeutschen Landstrich führten.
"Phänomenal Cyclist"
Die zweite Karte präsentiert Rupert Riedisser "Phänomenal Cyclist" mit der Werbebotschaft für Puch und Continental-Pneumatics. Abermals ist der Kunstfahrer im Porträt, allerdings gezeichnet in einem Speichenrad, zu sehen, daneben ist er bei der Ausübung von fünf Figuren auf dem Zweirad - darunter einem Lenkerhandstand - abgebildet. Daß sich Riedisser in dieser Zeit viel in Deutschland aufhielt, darauf deutet auch der Umstand hin, daß seine Tochter Johanna (geboren am 4. März 1910) in Erfurt zur Welt kam. Über ihre Mutter gibt es leider keinerlei Informationen.
Riedisser dürfte aber trotz seiner Engagements im In- und Ausland immer wieder nach Peggau zurückgekehrt sein. So ist er, der sich jetzt "Mechaniker und Artist" nennt, in der Zeit von 7.9.1915 bis 11.2.1918 in Peggau 104 (heute Margarethenstraße 106) wohnhaft, wie die Meldedaten der Gemeinde besagen. 1924 weist ihn ein Stempel auf einer Postkarte als "Mechaniker und Fahrradhändler in Peggau, Steiermark" aus. Vermutlich hat er zu dieser Zeit eine Werkstätte in einem Nebengebäude des heute noch bestehenden Wohnhauses, wo er sich eingemietet haben dürfte. Nur aus Erzählungen ist Riedisser den ältesten der Gemeindebewohner noch bekannt: so soll er "immer unterwegs" gewesen sein. Einmal, als er wieder in Peggau Station machte, soll er in einem Gasthaus - vermutlich auf Drängen der Gäste - ein Kunststück vorgeführt haben: einen Handstand, den er auf einer leeren, auf dem Tisch stehenden Sektflasche ausführte, in die er den Mittelfinger einer Hand gesteckt hatte.
Riedisser vor Riesenrad
Die Karte von 1924 zeigt Riedisser wieder im Porträt, mit drei Kunststücken auf dem Zweirad - Sprünge über ein Seil und einen liegenden Menschen und eine Figur auf einem Tisch - sowie auf einem hohen Einrad. Der Text auf der Vorderseite lautet: "Rupert Riedisser, Kunstradfahrer, fährt auf Puch-Fahrrad mit Semperit." Abgesehen vom Wechsel derReifenmarke ist auf dieser Karte im Vergleich zu den Vorgängersujets klar erkennbar, daß es sich bei den Figuren um Varieté- bzw. Zirkus-Darbietungen handelt. Gerichtet ist die Karte übrigens an einen Herrn Anton Pelzmann aus Schladming, bei dem sich Riedisser in einigen mit Schreibmaschine verfaßten Zeilen für die "gemütlichen Stunden in Schladming" bedankt.
Mehrbildpostkarte, 1924
Aus ziemlich der gleichen Zeit stammt schließlich die vierte Karte, die Riedisser im gleichen Porträt wie 1924 sowie auf dem hohen Einrad vor dem Riesenrad in Wien und auf dem Zweirad mit einem "Sprung vom Tisch" zeigt. Der dazugehörige Text verweist wieder auf Puch und Semperit sowie darauf, daß der Protagonist Mechaniker in Peggau ist und es bei ihm "neue Fahrräder, Fahrradgummi, Reparaturern billigst" gäbe.
Ob Riedisser in seinen späteren Jahren in Peggau seßhaft wurde und hier seinen Lebensabend beschloß, ist leider nicht belegt. Aus den Meldedaten geht nur hervor, daß seine Tochter Johanna, die selbst als Artistin bezeichnet wurde, von 1939 bis 1956 in Peggau 152, einem Haus, das längst abgerissen wurde, wohnhaft war.
RÄDER AUS DER STEIERMARK
Albl und sein erfolgreicher Mechaniker
Die Anfänge der Fahrraderzeugung in Graz gehen auf das Jahr 1884 zurück. Damals richtete Matthias Allmer in dier Wienerstraße 31 (heute 57) die "erste steirische Velociped-Fabrikation" ein.
Plakat Albl, 1893
Der erste, der die Fahrradproduktion in größerem Stil betrieb, war Benedict Albl. Nach einer Reise nach England beschloß der bisher auf Näh-, Walk- und Waschmaschinen spezialisierte Mechaniker 1888, mit der Erzeugung von "Bicycles, Biciclettes, Tricycles und Jugendfahrrädern" zu beginnen. Aus der Elisabethinergasse 7 übersiedelte er auf den Lendplatz 14, wo bei ihm auch ein gewisser Johann Puch ein kurzes Gastspiel gab. Albl beschäftige schon 24 Arbeiter und heimste einen Silbernen Staatspreis für sein "Meteor" ein, als Puch sich selbständig machte und von einer kleinen Werkstätte in einem ehemaligen Glashaus in der Strauchergasse 18 (heute 12) am Volksgarten aus seine erfolgreiche Karriere als DER österreichische Fahrzeugpionier startete.
Albls "Graciosa", 1898/99
Der aus Sakuschak bei Pettau im heutigen Slowenien stammende Janez Puh (1862 - 1914) lernte bei einem Schlosser im südsteirischen Radkersburg und war während seines Militärdienstes, den er in Graz ableistete, mit dem Bicycle in Berührung gekommen. Er arbeitete zunächst bei Matthias Allmer und Johann Luchscheider als Mechaniker, ehe er es 1889 auf eigene Faust versuchte. Sein "Styria" lehnte sich am System "Humber" an und setzte sich bald, beflügelt durch gut vermarktete Rennerfolge z.B., eines ´Franz Gerger, gegenüber der Konkurrenz durch.
"Noricum" kettenlos
In der Blütezeit der Grazer Fahrradproduktion Ende des 19. Jahrhunderts bedienten neben Puch und Albl kleinere Fahrradmanufakturen wie jene von Julius G. Sorg, Josef Eigler, Alois Riegler, Franz Strametz ("Electra") und Franz Elgetz ("Rocket") den boomenden Markt. Albl und später Carl Franz ("Graziosa") sowie Cless & Plessing ("Noricum") produzierten auch kettenlose Fahrräder, die nach 1895 in Mode kamen.
Fahrradteile und -zubehör, vor allem Taschen und Sättel, wurden seit 1891 von den Brüdern Assmann in Leibnitz gefertigt. 1937-45 kamen aus diesem Betrieb auch komplette Fahrräder. Ein weiterer Sattelerzeuger der Zwischenkriegszeit war die Fa. Robert Bieber in Graz-Lend.
Duell "Styria" - "Puch"
1897 beschäftigten die "Johann Puch & Comp., Styria-Fahrradwerke" 633 männliche und 83 weibliche Arbeiter sowie 36 Lehrlinge, als es im Zuge eines Rechtsstreites zur Teilung des Unternehmens kam. Das bisherige Werk, in das sich die deutsche Dürkopp & Co. (Bielefelder Maschinen-Fabrik) eingekauft hatte, firmierte weiter als "Puch Johann & Comp., Styria Fahrradwerke", während Puch selbst - nach einem kurzen, juridisch begründeten Intermezzo unter dem Namen seines Mitarbeiters Anton Werner ("Styria Original") - 1899 die "Johann Puch, Erste Steiermärkische Fahrrad-Fabriks-Actiengesellschaft" gründete. Einige Jahre erzeugten somit zwei Unternehmen "Puch-Räder".
Rivalen: Styria und Puch, Ansichtskarten nach Plakatmotiven. Die Werbung entdeckt die Frau.
Bei den Styria-Fahrradwerken in der Baumgasse (heute Köstenbaumgasse) 17, von Puchs Ex-Kompagnon Victor Rumpf geleitet, hatte man spätestens mit dem Einstieg von Puch in die Motorrad- und Auto-Erzeugung (1903 bzw. 1906) technologisch das Nachsehen. Von einem fünf Monate dauernden Streik 1907/08 erholten sich die Styria-Fahrradwerke nie mehr, 1927 übernahm die Steyr AG das Kommando und 1932 gingen die Rollbalken für immer herunter.
Werbung, 60er Jahre
In Puchs Todesjahr 1914 wurden in seiner Fabrik von 1.100 Beschäftigten - neben Autos und Motorräder - 16.000 Fahrräder hergestellt. Die Marke Puch behauptete sich auf dem Zweirad-Sektor über viele Jahrzehnte weltweit; ein letzter mengenmäßiger Höhepunkt wurde 1980 erreicht, als über 3.200 Mitarbeiter 310.000 Fahrräder produzierten.
Das Ende kam 1987: die gesamte Zweirad-Produktion wurde zugunsten der Autofertigung und der Spezialisierung des Puch-Werkes auf Allrad-Technik aufgegeben - eine bis heute umstrittene Entscheidung.
Das letzte Puch-Rennrad - das letzte "Royal Force", inspiziert von Josef Benze 1987
"Puch" gibt es heute bei Fahrrädern nur noch als Marke im Besitz von wechselnden Eigentümern, das Grazer Werk firmiert heute unter Magna-Steyr und fertigt ausschließlich Autos bzw. Antriebskomponenten für verschiedene Auftraggeber.
Der Löwe aus Puntigam
Schon eineinhalb Jahrzehnte vor dem Puch-Zweirad ging die Ära des einzigen ernstzunehmenden heimischen Konkurrenten, der Junior-Fahrradwerke, zu Ende.
Nach mehreren Pleiten in der Zwischenkriegszeit ("Montana", "Titan") hatte Franz Weiß 1937 in Graz-Puntigam erfolgreich eine Fahrradproduktion aufgezogen. In den 1950er-Jahren konnte Junior Puch mit einer eigenen Rennmannschaft zumindest sportlich auf Platz 2 verweisen.
Plakat, 50er Jahre
Bis zu einem Brand 1967 wurde zunehmend für den US-Markt im Billigsegment produziert, nach einem Neustart im weststeirischen Köflach und einem zweiten Groß0brand schlitterte "Junior" 1975 in den Konkurs.
Brüder Assmann: Gut gesattelt
Zu einem der wichtigsten Fahrradteileproduzenten der österreichisch-ungarischen Monarchie gehörte die Firma BrüderAssmann in Leibnitz. Alois, einer der Initiatoren des 1887 gegründeten Leibnitzer Radfahrervereines, und Emmerich, später auch dessen Obmann, werden offenbar durch Johann Puch auf die Idee gebracht, ihr Sortiment an Lederwaren auf Fahrradzubehör zu erweitern: die Brüder betreiben eine Niederlassung in der Grazer Annenstraße, in der Parallelgasse, der Strauchergasse, baute Puch seine ersten Räder. Ab 1894 werden Fahrradtaschen gefertigt, beliefert wird auch Franz Neger in Marburg.
Anzeige um1900
Der erste große Auftrag für Sättel kam 1900 ebenfalls von Puch, 1911 werden die Anlagen um Metallverarbeitung und Galvanik erweitert die Firma hieß nun "BrüderAssmann Leibnitz Fahrradsattel-, Taschen-, Fahrradspeichen-, Nippel- und Lederwarenfabrik". In der Zwischenkriegszeit wurde der Fahrradterile-Sektor weiter ausgebaut - die Hälfte des Umsatzes wurde nun mit Zweirad-Sätteln gemacht, von denen nicht weniger als 34 Typen angeboten wurden. Neben Puch, Styria und Steyr gehörten auch Großhändler zu den Kunden, man engagierte sich über Beteiligungen und Gründungen in der Tschechoslowakei und Polen.
"Assmann-Luxus", 1939
Beflügelt durch eine gestiegene Eigenfertigung bei Puch und ein inzwischen fast komplettes Sortiment an Fahrradteilen beschlossen die Brüder Assmann 1937, in die Fahrradproduktion einzusteigen. Puch blieb übermächtiger Konkurrent: während Puch 1939 85 Prozent des Heimmarktes beherrscht, schaffte Assmann gerade 8 Prozent.
Brand-BAL-Sattel
Wie Puch und Junior wurde Assmann zum Rüstungsbetrieb erklärt: ab April 1943 wurden 4000 Truppen-Fahrräder in der Steiermark gefertigt, 2000 kamen von Puch, je 1000 von Junior und Assmann. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Fahrradteileproduktion wieder aufgenommen, wieder mit Puch als Hauptabnehmer, ehe sie nach Jahren rückläufiger Erlöse 1970 eingestellt wurde.
Frühe PUCH-Papiere unter dem Hammer
Mit der Rechnung über den Verkauf eines Knaben-Fahrrades, der mit dem Stempel "Johann Puch Fahrradfabrik Strauchergasse 18" sowie zwei Unterschriften des Fabrikgründers versehen ist, wird belegt, daß zumindest der Verkauf an der ersten Firmenadresse des steirischen Industriepioniers schon früher als bisher angenommen begonnen hat.
Johann Puch
Puchs Ansuchen vom 6.2.1889, daß er in der ehemaligen Gärtnerei einen Fahrradreparaturbetrieb einrichten möchte, war nämlich von der Behörde zunächst - aus feuerpolizeilichen Gründen - abschlägig behandelt worden. Berichtet wird, daß er deshalb in die Werkstätte des Heinrich Sax (heutige Adresse: Griesgasse 7) ausgewichen ist. Erst Ende September gab der Gemeinderat dann Grünes Licht für die Betrriebsstätte in der Strauchergasse, die ersten eigenen "Styria-Räder" wurden Ende 1889 oder Anfang 1890 ausgeliefert.
Stempel und Unterschrift von Johann Puch. Früheste bekannte Geschäftspost von Johann Puch
Wie der aufgetauchte Beleg nun zeigt, hat sich Puch wenig um die Behörden gekümmert. Archivarisch belegt ist eine anonyme Anzeige vom 1.2.1889 - also vor dem Ansuchen -, in der auf eine Werkstätte mit Feuerungsanlage in der Strauchergasse 18 hingewiesen wird. Die Errichtung war erst geplant, wie sich bei einer kommissionellen Begehung herausstellte, das änderte aber nichts am abschlägigen Bescheid, der auch mit der möglichen Störung der Erholungsfunktion des Volksgartens untermauert wurde. Vermutet wird, daß hinter der Anzeige der Ex-Arbeitgeber und künftige Konkurrent Albl steckte.
Schon einige Tage davor ist eine Puch-Rechnung mit schönem Briefkopf, datiert 1892, um über 200.- Euro unter den Hammer gekommen.
Rechnung von Albl
Auch eine frühe Rechnung von Benedict Albl , von nämlichem auch gezeichnet, fand sich unter den Verkaufsangeboten des online-Auktionshauses. Sie belegt in Ausführung und Datierung (25. 6. 1889), daß der frühere Arbeitgeber und nachmalige Konkurrent Puchs der erste Fahrradfabrikant in Graz war. Das erste bekannte Inserat, in der Aklbls "Mechanische Werkstätte für Fahrräder" und als Produkte "Bicxycle, Biciclette,Tricycle und Jugend-Fahrräder beliebtester und bester Fabrikate des In- und Auslandes" beworben wurden, wurde im übrigen am 1.6.1888 in den Mitteilungen des Steirischen Radfahrer-Gauverbandes geschaltet.
Rechnung Albl vom 25.6. 1889, gezeichnet von B. Albl
Dem Vernehmen nach stammten die interessanten Stücke aus dem Nachlaß des Likörfabrikanten Josef Mlekus.
Die ersten Fahrräder von Puch
Als Johann Puch erstmals mit Fahrrädern in Berührung kam, hatte dieses bereits eine lange Entwicklungsgeschichte hinter sich. Einst als Laufrad von Carl Friedrich Ludwig Christian Baron Drais von Sauerbronn erfunden, hatten es die französischen Brüder Micheaux zu Treträdern weiterentwickelt, bei denen das Vorderrad direkt mittels Kurbel angetrieben wurde. Um die Übersetzung zu verbessern, wurde nun das Vorderrad immer größer, bis jene absurden hochrädrigen Vehikel die Straßen unsicher machten, die in den Stummfilmen von Charlie Chaplin und Buster Keaton zu halsbrecherischen Stunts herangezogen wurden.
Die Hochräder haben Puchs Interesse geweckt. Es war aber ein Sportgerät für betuchte Akrobaten, für den Straßenverkehr war es nicht geeignet. Ein tieferes Schlagloch reichte, um den Fahrer mit dem Kopf voran auf den Boden zu schicken.
Das Hochrad war aber niemals ein Fortbewegungsmittel für die Massen, es war vielmehr ein Sportgerät für die Wohlbetuchten. Und wegen ihres schlechten Fahrkomforts wurden sie als "Boneshaker" (Knochenschüttler) bezeichnet. Durch den hohen Schwerpunkt über dem Vorderrad waren Stürze zudem außerordentlich gefährlich. Von Sturzhelmen hatte man damals ja noch nichts gehört. Das Aufsteigen auf diese manchmal mehr als zwei Meter hohen Monster brauchte die akrobatischen Fertigkeiten es geübten Balancekünstlers.
Johann Puchs Weg zu den Fahrrädern
Der mechanisch und handwerklich sehr begabte Puch verbrachte seine Militärzeit in den Schlosserwerkstätten der k.u.k. Feldartillerie. Nach dem Militär arbeitete der begeisterte Radfahrer zuerst in einer Fahrradreparaturwerkstätte in Graz, wo er bei den Kunden bald als hervorragender Techniker bekannt war. Von da wechselte er in die Näh- und Walkmaschinenfabrik von Benedikt Albl, wo gerade eine Fahrradproduktion aufgebaut wurde. Aus dieser Produktion gingen später die Meteor-Fahrradwerke und die Graziosa-Fahrradwerke hervor.
1889 mietete Puch ein Glashaus von seinem Wohnungsvermieter in der Strauchergasse in Graz, um eine eigene Reparaturwerkstätte für Fahrräder zun eröffnen. Zu seiner Stammkundschaft gehörten die Mitglieder des akademisch-technischen Radfahrervereines in Graz. Puch beschäftigte bald neben seinem Bruder Martin noch einen weiteren Arbeiter und zwei Lehrlinge. Nach einiger Zeit begann Johann Puch mit dem Import und Verkauf von englischen Sicherheitsrädern.
Es waren die zufriedenen Kunden, die Puch ermutigtern, selber Fahrräder fabriksmäßig herzustellen.
Die ersten Puch-Fahrräder der Marke "Styria"
1890 wurde in der Strauchergasse eine Produktionsstätte zu fabriksmäßigen Fahrradherstellung behördlich genehmigt. Hier wurden bereits seit einiger Zeit Fahrräder in einem arbeitsteiligen Prozeß unter Anwendung von Werkzeugmaschinen und einem großen Dampfmotor hergestellt. Die ersten Puch-Fahrräder waren noch Hochräder, aber die Niederräder waren bereits stark verbreitet und bald mußte auch Puch diesem Trend folgen.
Die junge Fahrradfabrik "Styria" kam aber erst mit den Sicherheitsrädern so richtig in Schwung. Umgeben von Sportlern, hatte Puch früh verstanden, welche Bedeutung sportliche Erfolge für die Vermarktung seiner Produkte hatten. Johann Puch gab sehr viel Geld aus, um die besten Radsportler mit Styria-Fahrrädern in die internationalen Langstreckenrennen zuu schicken. Einer dieser hochbezahlten Sportler war der Grazer Franz Gerger, der in den Jahren 1893 bis 1897 zu den besten Radsportlern der Welt gehörte. Die Liste seiner internationalen Erfolge ist beachtlich:
1893 3. Platz Fernfahrt Berlin - Wien
1894 3. Platz Mailand - München
1895 Sieger Bordeaux - Paris
Sieger 50-km-Rennen, Seine-Bahn Paris
Sieger 6-Stunden-Fahren mit Josef Fischer, Paris
1896 Sieger Meisterschaft des DRB in Halle
1897 Sieger Europameisterschaft, Berlin, Halenseer Bahn
3. Platz 100-km-WM Kopenhagen
Franz Gerger trug mnit seinen außerordentlichen Leistungen zum internationalen Durchbruch der Marke "Styria" bei
DieseErfolge verhalfen der Marke Styariazu internationaler Bekanntheit und Ruhm. Die Fahrräder von Johann Puch wurden damit genau zu jener Zeit international bekannt, als sich das Fahrrad im Straßenverkehr durchzusetzen begann. Das brachte dem Unternehmen eine Flut von Aufträgen, vor allem aus Deutschland. 1899 eröffnete Johann Puch trotz internationaler Rezession in der Grazer Gottliebgasse eine neue Produktionsstätte, weil die alten Hallen den Anforderungen nicht mehr gewachsen waren. Das Puch-Rad war ein internationaler Erfolg.
Janez Puh - ein Abriß
Johann Puch wurde am 27. Juni 1862 in einer Zeit großer, vor allem politischer Veränderungen in Europa geboren. Der August 1859 brachte das Ende des Bach´schen Absolutismus. Es war das Ende der Kleinstaaterei, Italien vereinigte sich, Österreich verlor die Lombardei und der Papst die Macht. Die nichtdeutschen Nationen waren unzufrieden. In Österreich begann 1860 mit dem Oktoberdiplom und dem Februarpatent 1861 die sogenannte Verfassungsära, die in vielerlei Hinsicht bis zum Zerfall der Monarchie im Jahr 1918 - das war einige Jahre nach Puchs Tod - erhalten blieb. Johann Puch starb am 19. Juli 1914 in Zagreb.
Der Verlust der Lombardei und Venetiens spiegelt die Politik eines Monarchen wider, der seine Ungeschicklichkeit mit dem Verlust von Ländern bezahlt, in denen es keine deutsche Bevölkerungsmehrheit gibt. Trotzdem gelang es dem Kaiser, auch unter den nichtdeutschen Nationen, darunter den Slowenen, viele Kaisertreue um sich zu scharen, die in einer starken und konservativen Monarchie eine wirksame Verteidigung gegenüber der italienischen, deutschen und ungarischen Gefahr sahen. Der staatliche Rahmen der Monarchie kam in wirtschaftlicher Hinsicht einem Großteil der Menschen entgegen, politisch jedoch tauchten Forderungen nach Sprachautonomie, verbunden vor allem mit der Forderung nach dem Gebrauch der Muttersprache, in unserem Fall der slowenischen Sprache, in Ämtern und Schulen auf. In der Folge wurden dann politische und wirtschaftliche Autonomie gefordert.
In diese Welt wurde Johann Puch als österreichgischer Staatsbürger slowenischer Nationalität in der Steiermark, in der Bezirkshauptmannschaft Pettau, in der Pfarre St. Lorenz, in der Gemeinde Sakusak und dem Weiler Oblacek - in den Geburtsmatriken wird er auch Oblacjak gennant - geboren. Er war das zweite Kind (nicht das siebente) der Kleinbauern-Keuschler (und nicht der Häusler) Franz Puch aus Zagorje und Neza, geborene Cizerl aus Sakusak. Heute ist Sakusak einer der Weiler der 1994 neu gebildeten Gemeinde Jursinci.
Jursinci
Der Ort Jursinci wird 1409, die Kirche St. Lorenz schon 1322 zum ersten Mal erwähnt. Zur Zeit Johann Puchs fiel Jursinci unter die Bezirkshauptmannschaft Pettau, ab dem Jahr 1918 gehörte es in den Bezirk Pettau und ab dem Jahr 1957 in die Gemeinde Pettau. Kirchenrechtlich war Jursinci eine Filiale der Pettauer Urpfarre - unter der Kirche St. Oswald und unter dem Patronat der Pettauer Pfarre St. Georg. Dies hatte viele Verbindungen zwischen Pettau und Jursinci zur Folge. 1807 wird die Schule im Ort erwähnt. Dem Lehrer, dem Geistlichen Peter, Sohn des Nikolaj aus Hvaletinci, begegnen wir schon 1466. Zur Volksschulzeit Johann Puchs war die Schule eine einklassige, in der Knaben und Mädchen gemeinsam unterrichtet wurden. Im Jahre 1879 wurde sie in eine zweiklassige umgewandelt. In dieser zweiklassigen Schule soll auch Johann Puch angemeldet gewesen sein, und zwar schon zu einer Zeit, als er die Schlosserlehre absolvierte.
Die Bewohner von Jursinci waren sich dessen bewußt, daß erst die Bildung das Tor zur Welt öffnet, und so vedrdsuchten sie, ihren Kindern Bildung beizubringen. Die Kinder studierten im nahegelegenen Graz oder Varazdin. Die Knaben aus Jursinci hielten sich während ihrer Studienjahre durch Stipendien heimischer Geistlicher über Wasser. Ein anderer Weg, sich das notwendige Studiengeld zu besorgen, bestand darin, gute Weine zu verkaufen und bis zum Jahr 1894, als die Reblaus die Weinberge vernichtete, auch Pfrobreben. In Jursinci wurde 1905 die erste Rebgenossenschaft der Monarchie gegründet, die noch immer besteht. Sie wurde auf Betreiben des Einheimischen Franz Matjasic, des steirischen Winzeraufsehers, gegründet. Auch heute noch ist der Verkauf von Propfreben der Paradewirtschaftszweig in Jursinci. Gute Weine, vor allem im Gasthof bei der Kirche in Jursinci, sind mit dem Namen von Johann Puch eng verbunden.
Auch das Dorf Rotman in der Pfarre Jursinci, wo Johann Puch beim Schlossermeister Kraner in die Lehre ging, erinnert an ihn. 1877 erhielt Puch in Pettau nach dreijähriger erfolgreicher Ausbildung ein Zeugnis. Er b eendete seine Lehrzeit genua in dem Jahr, als in Pettau die Gewerbliche fortführende Schule für Schmiede, Kesselschmiede, Schlosser, Radmechaniker, Tischler und Schneider gegründet wurde.
Pettau
war zu Puchs Zeit eine Stadt mit eigenem Statut, 392.411 Einwohnern und Sitz des Bezirksschulrates, des Gerichtsbezirkes, der Propstei, etc. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann Pettau mit anderen Städten, darunter Graz, zu wetteifern. Eine Gasbeleuchtung wurde installiert, Gehsteige wurden gebaut, das Drauufer befestigt und eine Promenade mit einem Musikpavillon gebaut. Die Stadt erhielt ein neues Schlachthaus, eine Dampfmühle und eine Säge, ein Oberstufengymnasium, ein neues Magistratsgebäude, ein Theater mit einer neuen Fassade, ein Knabenheim und eine Knabenschule, neue bemalte Fenster in der Propsteikirche. Die nationale Zusammensetzung in der Stadtbevölkerung begünstigte Menschen mit deutscher Umgangssprache und auch das äußere Bild der Stadt mit den vielen deutschen Aufschriften vermittelte einen solchen Eindruck. Die Stadtverwaltung und die Politiker waren großdeutsch orientiert, was nationale Spannungen sowohl in der Stadt als auch in der fast zur Gänze slowenischen Umgebung zur Folge hatte. In der Stadt erschienen auch zwei Zeitungen, nämlich seit 1890 die "Pettauer Zeitung" und ab 1900 der "Stajerc", die eine auf deutsch, die andere auf slowenisch mit offensichtlich deutschnationalem Vorzeichen. Das gewerbliche Schulwesen mit der großen Tradition in der Ausbildung von Lehrlingen der seit dem Mittelalter bestehenden Innungen begann, als Johann Puch seine Lehrzeit schon abgeschlossen hatte und sich nach Radkersburg zum Meister Gerschack aufmachte, um dort als Wandergeselle zu arbeiten.
Deckblatt eines PUCH-Fahrradkataloges von 1901, von dem auch die folgenden Bilder stammen.
Feine Tourenmaschine
Tourenrad
Feines Damenrad
Luxus-Damenrad
Oberradkersburg und Radkersburg
Der bis zum Zerfall der Österreichisch-Ungarischen Monarchie 1918 am rechten und linken Murufer gelegene "Zwillingsort" war wichtig für Johanns Entwicklung, da er hier national gemischtes Gebiet kennenlernte. Nur der obere und der äußere Gries in unmittelbarer Nähe des rechten Murufers neben dem Schloß auf dem Hügel über Radkersburg sind der Kern des heutigen Gornja Radgona. Diese Ortsteile umfaßten 1880 43 Häuser und 229 Einwohner. Alle Bewohner waren Katholiken slowenischer Umgangssprache. Auf dem Schloß gab es nur ein Gebäude mit 7 Bewohnern. Johann Puch wurde in Radkersburg am linken Murufer in der Werkstatt des Meisters Gerschack in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts ausgebildet.
Johann Puch
Graz
1880 trat Johann Puch, nachdem er seine Lehr- und Wanderjahre abgeschlossen hatte, den Militärdienst in Graz an, wo er als ausgebildeter Schlosser zunächst dem Grazer Zeughaus zugeteilt wurde, um danach Schlosser im Regiment zu werden, wo er es ob seines Könnens und Fleißes zum Obermechaniker des Regimentes brachte. Nach beendetem Militärdienst kehrte er für kurze Zeit nach Jursinci zurück. Danach verließ er seinen Heimatort und ging nach Graz, das damals eine Blütezeit erlebte und zur Großstadt wurde. Die Einwohnerzahl der Stadt - an die 112.000 in den Jahren 1870 bis 1890 - stieg am rechten Murufer um fast 40 %. In dieser Zeit stieg die Bautätigkeit in Graz sprunghaft an, nur die Eingriffe in die kommunale Infrastruktur waren weniger erfolgreich. Aus der sozialen Struktur der Stadt geht hervor, daß der größte Teil der Bevölkerung zu den unteren sozialen Schichten zählte. Den größten Anteil an Beschäftigten wiesen die Industrie und das Gewerbe auf. Was die politische Orientierung angeht, so war Graz zur Jahrhundertwende deutschnational ausgerichtet, was die antihabsburger bzw. antislowenischen Tendenzen noch verstärkte. In der Stadt gab es fünf größere Zeitungen. Es bildeten sich zahlreichre Handelsunternehmen, und wegen der neuen Verkehrsmittel gab es auch neue Verkehrswege zu Lande und in der Luft, weniger auf der Mur. Graz war ab er nicht nur Wirtschafts- und Handelsstadt, sondern auch Bildungszentrum mit einer langen Universitätstradition. Auch in den Theatern, bei Musikveranstaltungen und auf dem Gebiet der Darstellenden Kunst taten sich neue Entwicklungen auf. Das literarische Schaffen blüähte auf. Es gab viele Unterhaltungsmöglichkeiten, gut zu essen und zu trinken war kein Problem. Nach Elke Hammer behielt Graz trotz der vielen Veränderungen, die es zur Jahrhundertwende erlebte, seinen Charme bei.
Puch-Logo
Johann Puch verwendete in den zwei Jahren für den Kampf um den Erhalt der Arbeitsbewilligung und den Erwerb von Räumlichkeiten für eine mechanische Werkstätte in Graz ungeheure Energien. Wegen eines ablehnenden Bescheides des Grazer Stadtrates wandte er sich sogar an das Innenministerium. Puch stellte fest, daß die Gründe für die unbegreiflicher Ablehnung seiner Reparaturwerkstatt für Räder auf erfundenen Angaben von Gemeinderäten fußten. 1889 erhielt er schlußendlich die Arbeitsbewilligung, und im selben Jahr heiratete er in Graz Maria Reinitzhuber, die Tochter seines Wohnungsvermieters in der Strauchergasse 18, in der Pfarre Mariahilf. Das Jahr 1889 ist verbunden mit der Herstellung des ersten bekannten Puch-Rades, eines sichereren und handlicheren Rades als es seine Vorgänger waren. In diesem Jahr begann auch Schon 1901 ließ er den ersten Antriebsmotor patentieren und 1902 gelang es ihm, sowohl ein Auto als auch einen Motor zu präsentieren. Zugleich kämpfte er für die Anerkennung seiner Patente und Erfindungen, derer es an die 30 gibt. Johann Puch ist der Autor einiger Patente, bei anderen der Mitautor und bei dritten der Projektleiter. Puchs Erfindungen übertreffen bei weitem das Bild des großartigen Mechanikers. Das Patent eines vierzylindrigen Boxermotors in seiner Variante ist bis heute nicht realisiert worden. Johann Puch übertraf in Graz mit der Radproduktion alle Konkurrenten und öffnete Österreich das Tor zu Europa. Puch-Räder drangen bis nach England und Frankreich vor, die als Heimatländer des Rades galten. Johann Puch verkaufte seine Räder auch selbst, und zwar dadurch, daß er bei Radrennen, bei welchen seine Räder siegten, Käufer anwarb. Auf diesen Radrennen sah er auch, wo die Konkurrenz stand. Besondere Aufmerksamkeit widmete er der äußeren Gestalt seiner Produkte, seiner Plakate, Flugblätter, Preislisten, Verkaufskataloge - überall kam sein Sinn für Ästhetik und fürs Detail zum Ausdruck. Johann Puch wurde durch zahlreiche Autoren in Österreich sehr bekannt, weshalb von seiner Fabrik, die 1912 nach einigen Quellen 1000, nach anderen 1200 Arbeiter beschäftigte, hier nicht die Rede sein wird.
Der Großindustrielle und Erfinder Johann Puch wurde auf slowenischem Boden geboren und ausgebildet. Er erblickte in der Prlekija in den Windischen Büheln das Licht der Welt. Dieser Welt blieb er treu, auch wenn er nach Graz ging. Oder, um es mit den Worten von France Bernik zu sagen: "Als er vor der schicksalhaften Entscheidung stand, zuhause zu bleiben und seinem Drang nach Neuem nicht nachzugeben oder die Grenzen der Heimat zu sprengen und sein Talent zum Wohl der Allgemeinheit zu entwickeln, wählte Johann Puch das letztere, den schwereren Weg, blieb sich aber selbst treu und fand darin den Sinn des Lebens. Gleichzeitig erwarb er sich damit den Ruhm eines internationalen Erfinders. Deshalb sollte man ihn nicht bloß mit nationalen oder ideologischen Maßstäben messen, umso mehr, als er sich selbst nie in die eine oder andere Richtung geäußert hat. Unzweifelhaft bleibt aber eines: der Geburt und der Muttersprache nach war Puch Slowene, durch seine Arbeit aber überragte er seine Herkunft und leistete Großes für den technischen Fortschritt der Menschheit. Johann Puch war nicht bloß ein Zeitgenosse der Industriellen Revolution, sondern ein aktiver Betreiber, bedeutend auch für die heutige Zeit, in der viele davon überzeugt sind, daß moderne Autos ganz anders gebaut sind als z.B. Puchs Modelle aus der Zeit der Jahrhundertwende, nur weil diese Zeit schon lange zurückliegt.
Das Geburtshaus von Johann Puch
Mit der Produktion von Fahrrädern war Johann Puch äußerst erfolgreich, bald kamen auch Motorräder und Autos dazu. Die eigene Motorenproduktion ermöglichte es dem Unternehmen, erfolgreich an Motorrad- und Autorennen teilzunehmen, auch das Luftschiff der "Renner-Brüder" war mit einem Puch-Motor ausgestattet. 1912 zog sich Johann Puch aus dem Unternehmen zurück, im selben Jahr wurde es in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Wie viele Betriebe, deren Produktion auf den viel größeren Wirtschaftsraum der Monarchie ausgelegt war, zogen die Folgen des Ersten Weltkrieges auch die "Puchwerke Aktiengesellschaft" arg in Mitleidenschaft. Sie fusionierte 1928 mit der "Österreichischen Daimler-Motoren-AG", und der Automobilbau in Graz wurde eingestellt. Weiter produziert wurden jedoch Motorräder. Die anhaltenden wirtschaftlichen Probleme in Österreich begünstigten die Konzentration auch im Bereich der metallverarbeitenden Industrie, und 1934 erfgolgte die Vereinigung mit den Steyr-Werken zur "Steyr-Daimler-Puch-AG". Die Eingliederung in die nationalsozialistische Rüstungsindustrie bescherte dem Unternehmen 1941 ein riesiges neues Werk in Graz-Thondorf, von dem nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings nicht mehr viel übrig war.
Johann Puch starb am 19. Juli 1914 in Zagreb. Glaubtman den zeitgenössischen Berichten, so muß Puch ein rast- und atemloser "Macher" gewesen sein. Woher er seinen Antrieb nahm, bleibt offen. Letztlich gibt es nur wenig Informationen zu seiner Person. In den Wirren des Zweiten Weltkrieges gingen die meisten privaten Objekte, die uns heute über ihn Aufschluß geben könnten, verloren. Eines steht jedoch fest: er hatte ein unglaubliches Gespür für Innovationen, liebte die ausgefeilte Handwerkskunst und hatte einen beneidenswert guten Riecher bei der Einstellung der richtigen Techniker und Handwerker und beim Erwerb der nötigen Maschinen. Sein Unternehmen präsentierte sich schon nach kurzer Zeit als Erfolgskonzept.
Lastentransporter aus Grazer Fabrikation
In der frühen Hochblüte des Radfahrens, in den 189er Jahren, wurde das Fahrrad auch zunehmend für die Güterbeförderung herangezogen. Das Dreirad, das ja schon parallel zum Hochrad um 18809 aufgekommen war, verlor zwar mit der Verbreitung des Niederrrades an Bedeutung für den Touren- und Rennsport, erlebte dafür aber eine Renaissance beim Lastentransport.
Styria-Gepäcksdreirad, 1897
Die Post hatte bereits 1888 die ersten Gepäckdreiräder in Betrieb genommen. In Graz nahm Johann Puch erstmals 1896 Gepäckdreiräder ins Programm, und zwar zwrei Modelle mit je 250 kg Traglast und Transportbehältern (auf zwei Rädern) hinter dem Fahrer, eines mit Antrieb auf das Hinterrad und das andere mit übersetztem Vorderradantrieb. Ein Jahr später drehte Puch die Produktion um: nun wurde das Gepäcksdreirad über einen vorne auf zwei Rädern montierten
Transportbehälter gelenkt, der Anrieb erfolgte über eine Kette auf das Hinterrad. Dieses Prinzip fand weltweit Nachahmung und ist auch heute noch z.B. beim Christiania. Lastenrad in Anwendung.
Transportdreirad der Bäckerei Tax um 1900, nachmals Edegger-Tax, an der Kreuzung Rechbauerstraße-Morellenfeldgasse
Auch die Meteor-Fahrradwerke bauten nach diesem Prinzip um 1900, in einer Zeit, in der laut Katalog "das Gepäcksdreirad... für die Geschäftswelt nahezu unentbehrlich geworden" ist, ein Personen- und Gepäcksdreirad, das vorne wahlweise mit Kasten oder Korb geliefert wurde. Von "Graziosa" (Benedict Albl) gab es 1899 das Modell XIV, ein Gepäcksdreirad ohne Kette.
Lastenrad in der Annenstraße - Vor der Steh-Bierhalle in der Annenstraße 18 - nach 1901. Zuvor war hier die Niedeerlassung von Albls "Graziosa Fahrradwerken" etabliert gewesen, die ebenfalls Lastendreiräder im Programm hatten.
"Das praktische Lieferfahrzeug für jedes Geschäft"
Der Styria-Katalog von 1900 zeigt zwei Dreiräder für den Gütertransport - eines mit der Aufschrift "k.k. Post" am Aufbau und eines mit einem Weinfaß als Transportbehältnis. 1909 kostete das Styriamodell XIII "Gepäcksrad" übrigens 450 Kronen, etwa das Doppelte eines Tourenrades. Die Beschreibung im Katalog: "Patentsteuerung auf Kugeln, gut gefederter Unterbau, extrastarke Gummis, stärkere Achsen und Speichen, verstärkte Rahmen, Kastengröße nach Wunsch und Dreirad Bedarf, mit oder ohne Galerie." Die Styria-Fahrradwerke bauten auch unter dem Markennamen "Dürkopp" ein Transport-Dreirad, das Modell Atlas.
Styria-Modelle um 1930
In den Steyr-Katalogen von 1936 und1937 findet sich ein Transport-Dreirad, angepriesen als das "praktische Lieferfahrzeug für jedes Geschäft, keine Betriebskosten, immer fahrbereit." Gebaut wird diesers Modell im Puchwerk - nachdem Ende der Styria-Werke 1932 und der Fusionierung mit Steyr 1934 - baut Puch auch die Modellreihen dieser ehemaligen Konkurrenten in der Fahrradproduktion.
Für den Tierschutz im Einsatz
Nickerchen im Anhänger - Grazer Dienstmann in den 1950er Jahren
"Bauanstalt für Fahrradanhänger"
Mit dem Aufkommen der Motorfahrzeuge büßte nicht nur der Personen-, sondern auch der Gütertransport per Fahrrad an Attraktivität ein. Länger als die Transportdreiräder blieben Zweiradanhänger in Verwendung. So existierte von 1936 (laut Adreßbuch, Prospektangaben zufolge schon früher") bis etwa 1950 inGraz-Liebenau eine "Bauanstalt für Fahrrad- und Motorradanhänger", betrieben von "Ing. Johann Exels Witwe"!
Firmenlogo
Exel-Dreirad. Laut Prospekt ausgestattet mit Stahlrohrchassis und Schwingachsenrahmen, mit kugelgelagerten verstärkten Naben, extra starken Speichen und Felgen.
Für 1860.- Schilling wurden auch Dreiräder, "der ideale Liefer- und Transportwagen" in verschiedenen Ausführungen mit bis zu 180 kg Belastung offeriert. Die Anhänger - gefedert um 535.- Schilling zu haben - wurden in einem Prospekt beworben mit: "Der Maler und Anstreicher läßt den Lehrjungen mit Material und Leitern vorausfahren, und nicht zuletzt fährt man mit dem Exel-Anhänger auch mit großem Gepäck, leicht und sicher auf Weekend."
Exel-Werbebotschaft
Damit endete die Ära der seriellen Produktion von Gefährten für den Fahrrad-Lastentransport in Graz. In kleinerem Rahmen und mit individuell-kreativem Ansatz wieder aufgegriffen wurde sie 2007 mit Einrichtung der autonomen Selbsthilfe-Werkstatt "Fahrradküche", in der u.a. Workshops für den Anhängerbau abgehalten werden. Eine Initiative, die nicht zuletzt vor dem Hintergrund zu sehen ist, daß mit dem Aufkommen der Kinder-Fahrradanhänger in den 1990er Jahren auch Lastenanhänger wieder langsam salonfähig geworden sind und ihr soziales Stigma des Arme-Leute-Vehikels verloren haben.
Im Dienste des Militärs
Auf der Suche nach neuen Transportmöglichkeiten entdeckte auch das Militär das Fahrrad. Seit 1882 stand Radfahren beim im Jahr davor eingerichteten k.u.k. Militär-Fecht- und Turnlerner-Kurs in Wiener Neustadt unter Kommandant Oberstleutnant Oskar Schadek von Degenburg auf dem Ausbildungsplan. Die erste Tour führte die Abteilung 1883 über den Semmering nach Mariazell und über den Lahnsattel zurück, 250 km in vier Tagen mit 20 kg Ausrüstung pro Mann. Auch in den Folgejahren wurde die Steiermark von den Kursteilnehmern angesteuert: 1884 ging es dann nach Bruck/Mur, über die Fiuschbacher Alpen nach Birkfeld und über Aspang retour, 1885 legten zwölf Offiziere die 157 km lange Strecke nach Graz in 12 Stunden zurück, immer noch auf Hochrädern (Achsenlager-Maschinen). In diesem Jahr erfolgte bei den Tullner Kaisermanövern auch der erste "offizielle" Einsatz. WeitereTouren führten wiederholt durch die Steiermark nach Triest sowie ins Salzkammergut (Juli 1988), wobei auf den 821 km Hoch- und Niederräder zum Einsatz kamen.
Graz als Ausbildungsstätte
1890 wird von den im Raum Judenburg und Knittelfeld abgehaltenen Herbstmanövern der k.u.k. Armee berichtet, daß bei der 11. Infanterie-Brigade der Einsatz von drei Unteroffizieren auf dem Rad als Ordonanzen, darunter A. Brosch, Mitglied des AtRV, vom 9. Feldjägerbataillon geplant war.
Erster Grazer Militärradfahrerkurs auf dem Areal der Radfahrschule Steininger, 1895/96
Der wirkliche Durchbruch hinsichtlich einer militärischen Nutzung gelang mit dem Distanzrennen Wien - Berlin 1893. Schon der Aufruf in der Radfahr-Chronik (VI/16/1893, 629) läßt keinen Zweifel an der Intention: "... in erster Linie zu zeigen, daß der Radfahrsport seinen Jüngern nicht nur zur angenehmen Erholung, zu einer vornehmen Spielerei zu dienen hat, daß er vielmehr auch berufern ist, im Dienste des Vaterlandes seine praktische Verwendbarkeit zu beweisen." Die Demonstration gelang: verglichen mit dem Pferderennen unter Offizieren vom Jahr davor, als der Sieger 71 Stunden benötigte, brauchten die schnellsten Racer kaum die halbe Zeiut. Ebenso demonstrativen Charakter mit militärischem Hintergrund hatte eine Relaisfahrt, bei der ebenfals 1893 15 Radfahrer die Strecke Wien-Graz-Klagenfurt (391,5 km) in 17 Stunden zurücklegten. Diese Leistungen überzeugten sowohl die zuvor skeptischen deutschen wie auch die österreichisch-ungarischen Militärs.
Melder beim Aufsteigen. Mit Karabiner am Rahmen und Säbel am vorderen Rahmen. Hier dürfte es sich um eine Studioaufnahme handeln. 1896.
Bei der k.u.k. Armee wurden Fahrräder in den Herbstmanövern 1894 ausgiebig getestet. Als Ausbildungsstätte etablierte sich nun Graz: der erste Kurs wurde 1895/96 von Leutnant Franz Smutny abgehalten. Im Gegensatz zur bisherigen Meinung, im Bedarfsfall könnten genügend Radfahrer mit ihren eigenen Maschinen rekrutiert werden, verfolgte der Grazer Kurs mit seinen 28 teilnehmenden Unteroffizieren und Soldaten das Ziel, aus dem aktiven Stand Militär-Radfahrer heranzubilden. In diesem und den folgenden Kursen sollten in erster Linie Militärradler für den Ordonanz- und Melde-Dienst, aber auch für andere Aufgaben, die bisher bei der Kavallerie angesiedelt waren, geschult werden. Bei den Herbstmanövern an der ungarisch-steirischen Grenze wurde der Kurs als Radfahrdetachment "in vollständig kriegsmäßiger Ausrüstung" mit Kavallerie-Karabiner und Infanterie-Seitengewehr unter Oberleutnant Leber im 31. Feldjäger-Bataillon eingesetzt. Im abschließenden Manöver war das Detachment durchwegs dem 8. Husarenregiment zugeordnet. Während des fünfwöchigen Einsatzes wurden jeweils 2400 bis 2800 km zurückgelegt. Die Bedenken, die pneumatischen Reifen könnten der Belastung nicht gewachsen sein, wurden dabei zerstreut.
Distanzfahrt im Gelände. K.u.k. Militärradfahrer-Kurs auf der Fahrt Graz-Steyr-Graz
Auch die Industrie witterte ihre Chance: die Österreichische Waffenfabriksgesellschaft (ÖWG) in Steyr stellte spezielle Swift-Räder unentgeltlich zur Verfügung, bei denen die blanken Tiele dunkel brüniert und die Tretkurbellager höhergelegt waren. Auch die von Johann Puch & Comp. gebauten Räder fanden Anklang, während das von Benedict Albl bereitgestellte Modell niucht entsprach. Nicht positiv verlief auch der Test von zusammenlegbaren Rädern der Grazer Fa. Albl und der Wiener Curjel und Greger: das Handling beim Zerlegen und Zusammenbauen erwies sich als mühsam, die Trageweise als unbequem und hinderlich.
Cadettenschule, Radfahrabteilung in Liebenau, 1897.
Das Klapprad im Dienst der k.u.k. Armee
Dennoch setzten Konstrukteure wie Puch weiterhin auf das Klapprad und fanden in Filipp Czeipek, Lehrer an der k.u.k. Infanterie-Cadettenschule in Graz, einen glühenden Fürsprecher: in einer Abhandlung von 1897 berichtete er, daß das neue, mit 26-Zoll-Rädern ausgerüstete Puch-Modell nur noch 12,5 Kilogramm wiege und in 30 Sekunden zusammengeklappt und noch schneller wieder zusammengebaut werden könne. Außerdem konnte bei Bedarf hinter dem Sattel ein zweiter Sitz für einen Passagier angebracht werden. Der unbestreitbare Vorteil des Klapprades: in mit dem Fahrrad schwierigem Gelände konnte man die Maschine wie einen Tornister schultern. Auch wenn die Erprobung in Manövern 1896 in nur geringem Umfang erfolgt sei, "erbrachte sie immerhin den vollgiltigen Beweis, daß nur das zusammenklappbare Rad für den Krieg brauchbar ist". Auch von positiven Erfahrungen während eines Manövers bei Radkersburg wurde berichtet.
Gefecht an Friedhofsmauer, 1897
Doch es sollte noch einige Jahre dauern, bis sich die Idee durchsetzte: 1906 beauftragte das Reichskriegsministerium die ÖWG und die Styria-Werke mit dem Nachbau des italienischen Modells Rossi-Melli, im Folgejahjr wird bei beiden Firmen ein kleines Kontingent bestellt. Auch wenn noch eine Reihe anderer Fabrikate miz starrem Rahmen erprobt wird, wie etwa eines von Noricum, ersetzt das Klapprad bis zum Ersten Weltkrieg das normale Militärrad. In erster Linie dürften die Radfahrer-Einheiten mit Material von der ÖWG und Puch ausgerüstet gewesen sein. Puch erhielt außerdem ein Patent auf ein Klapprad, das zu einer fahrbaren Bahre umzufunktionieren war und auch tatsächlich zum Einsatz kam.
Puch-Klapprad - "Aufgepackt - zur Fahrt bereit"
Die Entwicklung des Einsatzes von Fahrrädern bei der k.u.k. Armee: 1898 wurde beim Infanterieregiment Nr. 27 eine Versuchs-Radfahrerabteilung aufgestellt, 1908 bis 1911 bestanden drei Radfahrerkompanien, davon eine in Graz. 1912 kam es zur Aufstellung dauernder Formationen: jeweils die vierte Kompanie der Feldjäger-Bataillone Nr. 11, 20, 24 und 29 wurden in Radfahrer-Einheiten umgewandelt. Die Feuerkraft wurde erhöht: neben den Repetierstutzen der Mannschaft wurden jeweils auch zwei Maschinengewehre mitgeführt.
Verwundetentransport: Puch erhielt ein Patent auf ein Klapprad, das zum Transport einer Bahre umfunktioniert werden konnte, 1913.
Im Ersten Weltkrieg 1914 bis 1918 kamen Radfahrer-Kompanien auf österreichisch-ungarischer Seite zunächst an der russischen Grenze im Raum Gorlice zum Einsatz. 1915, inzwischen zum Radfahrer-Jägerbataillon Nr. 1 umgewandelt, wurden die Einheiten an die italienische Front verlegt und in den Garnisonen Monfalcone, Cormons, Rovigno und Gradisce verwendet. Wie es im Bericht eines Offiziers heißt, sind die Radler zunächst in Gorlice, später im italienischen Hochgebirge, wo die Räder klarerweise nutzlos waren, eingesetzt worden. Von allen Kommanden sei das Fehlen größerer Radfahrerformationen anläßlich des Durchbruchs von Karfreit bedauert worden.
Kleine Radfahrkompanie Cormons. Ansichtskarte, adressiert an den Eggenberger RV, 1915
Ebenfalls zum Einsatz kam das aus Freiwilligen bestehende "Freiwillige Radfahrerbataillon", dessen Mannschaften sich hauptsächlich aus Graz, Leitmeritz und Budapest rekrutierten. Diese Einheit wurde dann in das k.u.k. Radfahredrbataillon Nr. 2 umgewandelt, in eine Sturmgruppe umgebildet und an der Piave eingesetzt. "Hierbei erlitt es gräßliche Verluste und viele Grazer ruhen in einem Friedhofe zirka 12 km südlich San Doná di Piave", berichtet der Offizier, der diese Einheit eine zeitlang als Stellvertretender Kommandeur geführt hat.
Insgesamt sollen im Ersten Weltkrieg auf allen Seiten 250.000 Soldaten auf Fahrrädern, vor allem als Melderm, ztzum Einsatz gekommen sein.
Miltärradfahrer am Schöckel, 1916.
Traurige Bilanz
"So mancher brave Radlerkamerad mußte sein junges Leben lassen und mit Wehmut müssen wir ihrer gedenken, die die Radlerlust mit dem Leben bezahlten", heißt es in dem in den zwanziger Jahren erschienenen Nachruf von Michael Zuzic im "Steirischen Radsport". Am Beispiel des Brucker Bicycle-Clubs werden die Verluste deutlich: von den 113 männlichen Mitgliedern wurden 76 eingezogen, 14 kamen ums Leben, 36 wurden verwundet, 5 gerieten in Gefangenschaft. Nicht zurück kehrten u.a. die Meisterfahrer Adolf Kofler und Franz Gregl. In ihrem Namen werden später Gedenkrennen sowie ein "Heldenerinnerungsrennen" ausgetragen.
Truppenfahrräder aus der Steiermark
Den Ersten Weltkrieg überlebten auch viele Radvereine nicht: jene, die sich nicht anderen Organisationen angeschlossen oder sich freiwillig aufgelöst haben, sind durch den Blutzoll unter den Mitgliedern und die Notzeit nach dem Krieg so geschwächt, daß sie die Tätigkeit stillschweigend einstellten. In der Ersten Republik werden im Bundesheer im Zuge gemischter Brigaden wieder Radfahrbataillone aufgestellt, nicht jedoch in der Steiermark.
In der Zeit des Zweiten Weltkrieges, der trotz "Blitzkrieges" und Konzentration auf Panzer- und Luftstreitkräüfte das Fahrrad noch immer eine bedeutende Rolle spielte, galt die Steiermark als wichtigster Produzent von Truppenfahrrädern - neben Puch kamen sie von "Junior" (Graz) und Assmann (Leibnitz).
Patrouillenrennen. Steirische Militärpatrouillen beim Militärpatrouillenrennen in Straß.
Radfahren wird populär
Erster Frauenradverein der Monarchie
Mit der Einführung des Niederrades und der Erfindung des pneumatischen Reifens erfuhr das Radfahren eine rasante Popularisierung, auch in Graz, das im internationalen Vergleich spät dran war: wurden 1886 in zwei Radfahrvereinen erst 89 Hochradfahrer gezählt, lautete eine Schätzung 1894 bereits auf 800 bis 1000 Radfahrer.
Hochzeitsreise von Louise Sorg und Franz Fuchs 1894
Bemerkenswert unter den Publikationen dieser Zeit ist das "Tourenbuch von Steiermark für Radfahrer", das in erster Auflage 1889 (weitere 1894 und 1899) herausgegeben wurde. Es beschreibt Routen und Sehenwürdigkeiten, fahrradfreundliche Gasthöfe, die Radfahrvereine und ihre Satzungen, die allgemeine Straßen-Fahrordnung und Transportbestimmungen für die Eisenbahn (die "Freund" genannt wird).
Grazer Radpionierinnen 1892. Vor der Gründung des GDBC (von links) Elise Steininger, Vinci Wenderich, Louise Sorg, Mitzi und Louise Albl
Das Niederrad ("Safety"), das in Graz 1887/88 erstmals auftauchte, erleichterte die Zugänglichkeit des neuen Verkehrsmittels für breitere Bevölkerungskreise, insbesondere für Frauen. Diese waren bisher fast ausschließlich auf Dreiräder angewiesen. Nun sattelte die Weiblichkeit auf und gab sich auch bald nicht mehr mit einem zugewiesenen Platz auf dem Tandem zufrieden: am16. Februar 1893 wurde in Graz der erste Frauen-Radfahrverein der Österreichisch-Ungarischen Monarchie und einer der ersten (wenn nicht überhaupt der erste) Kontinentaleuropas, der Grazer Damen-Bicycle-Club (GDBC), gegründet. Auch wenn der Verein sich schon 1898 wieder auflöste, war seine Wirkung auf die Öffnung der anderen Clubs und für die Sportausübung von Frauen im öffentlichen Raum insgesamt von großer Bedeutung. Festzuhalten ist, daß vom GDBC immer die gesundheitsfördernde Wirkung des Radfahrens in den Vordergrund gestellt und nie an rennsportlichen Bewerben teilgenommen wurde.
Abzeichen der Grazer Radorganisationen, 1895
Mit Aufkommen der industriellen Fertigung und der damit verbundenen Verbilligung wurde das Fahrrad auch immer mehr zum Fortbewegungsmittel der Massen im Alltag. Mußten für ein Hochrad in den frühen 1880er Jahren rund 200.- Gulden ausgelegt werden und kostete eines der ersten in Österreich angebotenen Sicherheitsräder noch 500.- bis 600.- Kronen (= 250.- bis 300.- Gulden), sank der Preis um 1900 auf etwa 120.- bis 250.- Kronen. Zum Vergleich: ein Tagelöhner verdiente 1 bis 1,5 Gulden (= 2.- bis 3.- Kronen), ein Maurer 1,5 bis 2 Gulden (3 bis 4 Kronen) am Tag. Solcherart erschwinglich geworden, blieb das Radeln nun nicht länger einem elitären Bürgertum und sportbegeisterten Männern vorbehalten. Die alten Radklubs gerieten in die Krise, die Fahrradindustrie durch Überproduktion und wachsenden Importdruck ebenfalls.
Arbeiterradfahrer "All frei!" statt "All Heil!" - Ortsgruppe Knittelfeld des Steiermärkischen Arbeiter-Radfahrer-Bundes, 1899
Arbeiterradler formieren sich - trotzdem kommt Steuer
1896 wurde der Steiermärkische Arbeiter-Radfahrerbund ins Leben gerufen, und zwar vom Chefredakteur des sozialistischenh Kampfblattes "Arbeiterwille", Hans Resel. Wesentlichen Impuls für den Zusammenschluß der Werktätigen lieferte die hitzig geführte Debatte über eine neue Radfahrordnung, die auch eine Registrierung und Besteuerung der Radler/innen vorgesehen hatte, die letztlich aber - durchaus im Pakt mit z.B. den deutsch-nationalen Kräften - abgewehrt werden konnte.
Wenig Rad, viel Personal: ARV Einigkeit, Grazer Arbeiterradfahrerverein, gegründet 1914. Cornelia Pay hat dieses Foto im Familienalbum gefunden. Urgroßvater und/oder sein Bruder Johann dürften darauf zu sehen sein.
Weitere Gründungen aus dem Arbeitermilieu waren mitverantwortlich dafür, daß die Ära der zunächst sportlich-elitären und dann bürgerlichen Radfahr-Hegemonie zu Ende ging. Nun rückten ständische und ideologische Interessen immer mehr in den Vordergrund. Im betont deutschnationalen Graz sowie in den Städten der Untersteiermark gewann diese politische Gesinnung die Oberhand. So führten nach Turnorganisationen auch mehrere Radfahrvereine den antisemitischen "Arierparagraphen" ein.
Fahrradkennzeichen Steiermark 1936
Die schon Ende des 19. Jahrhunderts gewälzten Überlegungen zur Einführung von Fahrradsteuer und -Kennzeichen wurden jedoch in der Zwischenkriegszeit unter dem Titel der Geldbeschaffung´für die Straßensanierung wiederbelebt und tatsächlich - nach kontroversiellen Debatten im ´Landtag 1936 und parallel bzw. zeitversetzt mit anderen Bundesländern - realisiert. Drei Jahre später, nach dem Anschluß an Hitler-Deutschland, war diese Episode dann auch schon wieder Geschichte.
Ein Steg für Radpionierin Elise Steininger - Unterführung der Keplerbrücke offiziell benannt
Seit 12. Oktober 2006 heiß0t die neue Fuß- Radverbindung unter der Grazer Keplerbrücke am linken Murufer offiziell "Elise-Steininger-Steg".
Elise Steininger (geboren 10.12. 1854 in Szigmundfalva, gestorben 11.11. 1927 in Wien) war eine der ersten Radfahrerinnen in Graz, gründete 1893 den ersten Frauenradfahrverein in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie (Grazer Damen-Bicycle-Club) und wirkte als Fahrlehrerin. Eine entsprechende Straßentafel ist an beiden Enden am Kaiser-Franz-Josef-Kai und am Schwimmschulkai enthüllt worden. Auf der Schwimmschulkai-Seite gibt es zusätzlich die kurze Erklärung zur Namensgeberin und ihre Verdienste.
Mit dieser Würdigung entsprach der Stadtsenat auch einem Vorschlag der ARGUS-Radlobby.
Elise Steininger und die Anfänge des Damenradfahrens in Graz
Elise Steininger gilt als österreichische Radpionierin. Sie war 1893 Mitbegründerin des Grazer Damen-Bicycle-Clubs, des ersten Frauenradfahrvereins der Monarchie. Elisabeth Rauch (geb.10.12.1854) stammte aus der Wojwodina, die damals zu Ungarn gehörte (heute zu Serbien). Sie kam nach Wien und heiratete 1877 den Versicherungsbeamten Carl Anton Steininger. Was das Ehepaar dann nach Graz verschlug, ist nicht bekannt. Überliefert ist, daß Elise 1891 radfahren lernte, also schon 37 war, und zu den ersten Radlerinnen an der Mur zählte.
Carl Anton und Elise Steininger
Es war die Zeit, als das Nieder- das Hochrad ablöste und den Frauen den Zugang zu diesem Sportgerät erleichterte. Zwar übten sich Frauen schon in anderen Sportarten wie dem Turnen, doch nichts fand so öffentlich statt wie das Radfahren. So blieb die Diskussion um die Schicklichkeit des Damenradfahrens lange auf der Tagesordnung. Oft schwang bei den Kritikern auch die Befürchtung mit, die Frauen könnten Herd, Mann und Familie davonradeln. In der "Alpenländischen Sport-Zeitung" belehrte Dr. Otto Gotthilf noch 1900: Radfahren der Gesundheit und des Vergnügen wegens ja, "stecken aber (...) Emancipationsgelüste, Eitelkeit oder Gefallsucht dahintger, dann soll sie sich charakterfest zeigen und es bleiben lassen."
Marie Ciganek
Die soziale Zugangskontrolle lag damals bei den Radvereinen. Diese akzeptierten Frauen nur als Aufputz und Bannerpatinnen. Daß sie als ordentliche Mitglieder anerkannt wurden, war die Ausnahme - in Graz erstmals beim 1890 gegründeten RV Wanderlust.
Gründung des Grazer Damen Bicycle-Clubs
Die für Frauen unbefriedigende Situation in der organisierten Radlerszene bildete den Hintergrund für die Gründung des Grazer Damen-Bicycle-Clubs. Die Idee dazu wurde von Elise Steininger und Vicenza Wenderich im Herbst 1892 auf einer "fröhlichen Radfahrt von Bruck nach Graz" geboren. Die beiden traten im Dezember zusammen mit vier weiteren Geschlechtsgenossinnen bei der "Jubiläumsakademie" des Grazer Bicycle-Clubs (ältester Grazer Radverein, gegründet 1882) erstmals öffentlich auf. Ein Auftritt, der nicht überall gerne gesehen wurde: weil Elise beim von ihrem Mann mitgegründeten Verein "Tozurenradler", dem auch sie als - unterstützendes - Mitglied angehörte, nicht um Erlaubnis gefragt hatte, sollte ihre Teilnahme verhindert werden. Eine an den Veranstalter gerichtete Intervention wurde gegenüber Ehemann Carl Anton im nachhinein so begründet: "Abgesehen davon, daß es sich im vorliegenden Falle um eine Dame handelt, wo das selbstständige Vorgehen umso mehr befremden muß, hätten wir unter keiner Bedingung anders handeln können..." Carl Anton stand zu seiner Frau und wechselte den Verein.
Am 16. Februar 1893 war es dann soweit: der erste Frauenradfahrclub Österreich-Ungarns, der zweite oder gar erste Kontinentaleuropas (daß der Dresdner Damen-Radfahrverein "Velocia" 1890 gegründetd wurde, läßt sich quellenkritisch nicht belegen). Elise Steininger fungierte als Proponentin des GDBC und wurde auch dessen erste Präsidentin. Als Dreß wurde eine (bodenlange) dunkelblaue Schoß, helle Bluse, dunkelblaue Jacke, lichtblauer Gürtel und weiße Schirmkappen festgelegt. Für Ausfahrten wählte frau einen glatten Rock und tauschte die Schirmmütze gegen einen Sommerstrohhut. Schon daraus wird ersichtlich, daß sich die Grazer Pionierinnen eher an die Konventionen hielten - in der Streitfrage Rock oder Hose blieb man ebenso auf der sicheren Seite wie mit dem (allerdings 1895 unter der zweiten Präsidentschaft Steiningers aufgehobenen) Beschluß, den Grazer Bicycleclub als Protektoratsverein zu erwählen.
Auf der Sorg´schen Schulbahn. Mitglieder des GDBC auf der Schulbahn in der Pfeifengasse (nachmals Steininger). Originalvermerk: "Auf der alten Sorg´schen Fahrbahn 1893 oder 1894, aufgen. Friedrich Gerwig, kopiert von Bild Frau Steininger, Sommere 1911"
Die Gründungsmitglieder des GDBC kamen aus einschlägigen Kreisen - Töchter und Ehefrauen von Radfabrikanten und -händlern sowie Sportpionieren. Drei gehörten dem Adel an, die Zahl der Ledigen und der Verheirateten hielt sich in etwa die Waage.
Das mediale Echo auf die Vereinsgründung war durchwegs positiv und reichte über die Landesgrenzen hinaus. In dieser Zeit schien es wie geschmiert zu laufen für die Sache der Radlerinnen. Auch die Industrie entdeckte die Frau: Damenmodelle waren bei Puch seit 1892 im Programm, die Plakatkunst, die durch das Produkt Fahrrad seinen eigentlichen Aufschwung nahm, setzte auf weibliche Reize und selbstbewu0ßte Werbeträgerinnen.
Beim Damen-Bicycle-Club wurden schon im ersten Jahr von Clubmitgliedern bemerkenswerte Reisen absolviert, etwa von Vinci Wenderich über 670 km nach Friaul oder von Fanny Allmeder vom oststeirischen Pöllau nach Marburg, wobei die Strecke von Pöllau über das Strassegg nach Klagenfurt (125 km) an einem Tag bewältigt wurde. 1895 unternahm die erste Fahrwartin, Louise Sorg, mit ihrem frisch Angetrauten, dem Radrennfahrer Franz Fuchs, per Tandem die Hochzeitsreise über Triest nach Venedig.
Vorbildlich trat auch die Vorsitzende selbst in die Pedale. Wie zeitgenössische Quellen besagen, hat Elise Steininger es zur "wahren Meisterschaft im Kunst- und Tourenfahren" gebracht und hat durch ihr "schönes, ruhiges und sicheres Fahren ungeteilte Anerkennung und Bewunderung" erhalten. Für 1894 etwa wies ihr Tourenbuch 1.315 Kilometer aus.
"Sport und Pflicht lassen sich leicht vereinbaren"
In Ihrem Ehemann Carl Anton fand sie einen kongenialen Partner: als das Radfahren allgemein boomte und Graz das XII. Bundesfest des Deutschen Radfahrer-Bundes ausrichtete, stieg man ins Geschäft ein und eröffnete 1895 einen Fahrradhandel mit Reparaturwerkstätte sowie Fahrschule in der Pfeifengasse 18 (heute Kolpinggasse 12-14). In unmittelbarer Nähe zu Rennbahnen und Winterfahrschule in er Industriehalle (heute Messe Stadthalle) gelegen, war dies bald die erste Adresse in der Grazer Radlerszene und selbstverständlich Stützpunkt des Grazer Damen-Bicycle-Clubs.
Radfahrschule Steininger um 1895. Das Haus Pfeifengasse 18 (heute Kolpinggasse 12-14) existiert noch. Ansichtskarte um 1895.
Else wirkte als Fahrlehrerin und erteilte Frauen und Mädchen aus besseren Kreisen Unterricht, wie ein in der Zeitschrift "Die Radlerin" 1898 veröffentlichter Brief von Therese Gräfin Wurmbrand-Wenckheim dokumentiert. In dieser Würdigung attestierte sie (gegenüber einer offensichtlich immer noch skeptischen Öffentlichkeit), daß Frau Steininger gleichzeitige "schneidige" Radlerin und brave Hausfrau sei: "Wirft man außerdem einen Blick in ihr Heim, so kann man sich dessen ganz besonders überzeugen und muß nihren mit so viel Geschmack und musterhafter Einteilung geführten Haushalt bewundern, der uns der lebhafteste Beweis für eine gediegene Hausfrau ist. Gleichzeitig erinnert uns aber auch dieses Bild daran, daß Sport und Pflicht sich leicht vereinbaren lassen."
Steininger Fahrplatz. Fahrplatz gegen Süden, Ausschnitt aus einer Ansichtskarte, datiert 1902
Daraus und aus anderen Belegen läßt sich erkennen, daß EliseSteininger keineswegs Emanze oder Frauenrechtlerin war, was im übrigen auch durch das in Publikationen immer wieder betonte "massvolle Auftreten" ihres Vereins unterstrichen wird. Anläßlich des ersten Gründungstages etwa bilanzierte ein Berichterstatter, daß das Radfahren "lediglich als eine der Gesundheit der Damen zuträgliche Leibesstärkung betrieben" werde. Aus diesem Grunde seien auch die wiederholten Einladungen zu Damen-Wettfahrten (deren erste 1893 in Baden bei Wien ausgetragen wurde) abgelehnt worden.
Comtessen als Fahrschülerinnen
Diese Relativierung soll die Verdienste Elise Steiningers für das Frauenradfahren keineswegs schmälern: sie und ihre Mitstreiterinnen bereiteten den Boden dafür, daß sich die Frauen über die Nutzung des Fahrrads auch gesellschaftlich mehr Spiel- und Bewegungsraum eroberten. Daß dabei ideologisch angepaßte Argumente wie die gesundheitlichen Vorteile in den Vordergrund gerückt wurden, kann auch als Strategie interpretiert werden, "rückwärtsgewandte Positionen aufzubrechen", wie dies die Grazer Historikerin Heidrun Zettelbauer in einer Untersuchung über den Diskurs um den Frauenkörper im deutschnationalen Milieu um 1900 aufzeigte.
Das letzte Aufgebot. Der GDBC in seinem letzten Jahr. Frl Lydia Meukov, Frl Olga Nowotny, Fr Marianne Meukov, Fr Ida Elmar, Fr Marie Langheinz, Fr Amalia Mayer.
Als sich der Grazer Damen-Bicycle-Club nach kaum sechs Jahren Ende 1898 auflöste, war von den Gründerinnen niemand mehr dabei. Die Pionierinnen hatten sich anderen, offenbar familiären Aufgaben zugewandt. Auch waren zu dieser Zeit die bürgerlichen Vereine in eine Krise geraten, was mit der Konkurrenz der Arbeiterradfahrer-Vereine einer- und des Autos andererseits zusammenhängt. Ebenfalls ein Grund für das Aus: immer mehr Radvereine nahmen nun schon Frauen als gleichberechtigte Mitglieder auf - der kleine RC Velo etwa hatte 1898 bereits zwei Frauen im Vorstand. Freilich war damit ein wirklich egalitärer Zugang zur Fahrradmobilität noch lange nicht erreicht.
Über das Privatleben von Elise Steininger ist weiter wenig bekannt: ihre Ehe blieb kinderlos. Als ihr Mann 1903 an einem Herzleiden im Alter von 51 Jahren während eines Kuraufenthaltes in Monte Carlo starb, mußte sie für den Grazer Betrieb Konkurs anmelden. Sie wohnte zwar bis Mitte der 1920er-Jahre weiter in der Nähe "ihrer" Schulbahn, beschloß ihren Lebensabend aber in Wien, wohin sie zuständig war und wo sie am 11.11. 1927 im Versorgungsheim Lainz starb.
Im Dezember 2005, fast 113 Jahre nach dem Grazer Damen Bicycle-Club, wurde in Graz der Verein "Velochicks" gegründet, der Mädchen und Frauen eine Plattform für sportliches Radeln bieten soll.
Der Grazer Damen-Bicycle-Club: Pionierinnen für den Frauensport
Als sich Anfang 1893 einige Radfahrerinnen in Graz zu diesem ersten Damen-Radfahrverein der Österreichisch-ungarischen Monarchie zuusammenschlossen, bot eine Frau zu Rad einen eher seltenen Anblick, Radfahren war weitgehend Männersache, und das Fahrrad wurde noch hauptsächlich als Sportgerät betrachtet. (Harrer, Seite 101).
Wir befinden uns in einer Zeit, als der Anblick von Frauenwaden als unanständig diffamiert wurde, das Korsett zur Ausstattung einer "anständigen bürgerlichen Frau" gehörte, unverheiratete Frauen in Begleitung von Anstandsdamen ausgehen mußten, Hochschulstudium und gleichwertige Bildung erst erkämpft werden mußten und eben erst im Jahr zuvor eine erste Arbeiterinnenversammlung stattfand. Das Radfahren war überhaupt noch Anfeindungen auf der öffentlichen Straße ausgesetzt. Pferdefuhrwerke scheuten und Fußgänger erschraken.
"Als das Fahrrad auf die Welt kam, war es männlich." (Bleckmann, Covertext). Es wurde "Fahrmaschine ohne Pferd" genannt, auch "Velociped" oder "Draisine" (Harrer, Seite 7). Als 1888 der pneumatische Reifen patentiert wurde, also ein wirklich funktionstüchtiges Zweirad entstand, war es für Männer gedacht. Hochrad, Niederrad, Militärrad, Dreirad - hier entstand eine Männerdomäne. Frauen konnten Fahrräder dann nutzen, wenn ihre Schicklichkeit bewahrt war: keine sichtbare Anstrengung, keine verschwitzten Gesichter, keine sichtbaren Knöchel oder gar Waden, und schon gar keine Hosen waren erlaubt für eine anmutige Frau. Dreiräderm, Tandems und seit den 1880ern Damenräder heutiger Bauart standen einer Frau zu. Die Frauen gehörten sowieso eigentlich ins Haus! Und daher mußten sich die verheirateten Frauen den Vorwurf gefallen lassen, Familie und Hauswesen zu vernachlässigen. Ledige wiederum traf der Verdacht, sich der elterlichen Aufsicht entziehen oder einen Partner "erradeln" zu wollen (Harrer, Seite 102). Als Beispiel für das sich lockernde Geschlechterverhältnis kann die Heirat von Louise Sorg gelten, die mit ihrem Ehemann ihre Hochzeitsfahrt als Tandemfahrt nach Venedig unternahm.
Bei einer fröhlichen Radpartie tauchte die Idee eines eigenen Frauenclubs bei Elise Steininger und Vicenza Wenderich auf, nachdem die Grazer Männerfahrradvereine große Vorurteile gegenüber dem Damenradfahren zeigten. Es ging also nicht nur um sportliche Emanzipation und Geselligkeit, sondern auch um Gleichberechtigung von Frauen im Vereinswesen. Mit dabei waren dann auch Louise und Mitzi Albl und Louise Sorg. Sie führten eine Akademie vor, ein festliches Saalfahrern mit Schul-, Reigen und Kunstfahren. Gefahren wurde in der "Industriehalle", das Hauptgebäude im heutigen Messegelände.
Einige Frauen kamen aus einschlägigen Familien: Louise Sorgs Vater besaß ein Fahrrad- und Nähmaschinengeschäft und später eine moderne Radfahrschule mit Berg- und Talbahn. Der Vater der Schwestern Albl war Fahrradfabrikant und betrieb auch eine Radfahrschule.
Am16. Februar 1893 fand die Gründungsversammlung des Grazer Damen-Bicycle-Clubs (GDBC) in der Gastwirtschaft "Zum Goldenen Steinbock" in der Jakominigasse 59 statt. Es war dies der zweite Frauenradfahrverein im deutschen Sprachraum. Vorsitzende war Elise Steininger. Fahrmeisterin war Louise Sorg, die alle fahrtechnischen Belange verwaltete, vom Fahrunterricht für Neueintretende bis zur Gestaltung von sogenannten "Clubpartien". Eine einheitliche Klubkleidung - Fahrdreß mit Strohhut und Galadreß samt der modernen und provokanten Schirmmütze wurde beschlossen.
Es gab lustige Wanderfahrten nach Abtissendorf und in andere Dörfer der Grazer Umgebung. Clubgeselligkeiten wurden gepflegt. Corsofahrten, Festzüge zu Rad, wurden als Werbefahrten derVereine veranstaltet. Der junge Verein beteiligte sich radfahrend blumenbekränzt vom Hilmteich durch die Schubert-, Beethoven- und Elisabeth-Straße bius zum Erzherzog-Johann-Ring. Im ersten Vereinsjahr wurden insgesamt 8700 km auf 5 Clubpartien und Tourenfahrten bewältigt. Eine eigene Fahrschule auf den Namen Steininger wurde in der Pfeifengasse, der heutigen Schießstattgasse, gegründet. Bis 1897/98 war ein Fahrausweis samt Prüfung für das Befahren der öffentlichen Verkehrswege erforderlich, daher entstanden viele Fahrschulen.
Im zweiten Vereinsjahr gab es 27 Mitglieder. Unter den ledigen Frauen waren drei Berufstätige, eine Telegraphistin und zwei Lehrerinnen. Auch die Malerin Sidonie Baltl gehörte dem Verein an und eine Adelige, Josa von Matzner, die das Frauen-Radsportblatt "Die Radlerin" herausgab (Harrer, Seite 110). Der Verein trug sehr zur Popularisierung des Frauenradfahrens bei. Zumindest im bürgerlichen Milieu wurde der Fahrradsport mehr und mehr gepflegt. Um 1900 war es für Frauen kein Anstandsproblem mehr, alleine Ausfahrten zu machen.
Aber immer noch war das Fahrrad ein teures Gerät: es kostete ein ganzes Jahresgehalt eines männlichen Arbeiters. Für Frauen bedeutete dies, daß es fast unerschwinglich war, wenn sie berufstätig waren. Gebrauchte Fahrräder waren begehrt. Erst in den 1950er Jahren wurde das Fahrrad ein erschwingliches echtes Alltagsfahrzeug für alle Schichten. Heute sind es überwiegend Frauen, die alltäglich Radfahrten in der Stadt für Erledigungen verwenden.
Rosa Mayreder, die große Dame der Frauenbewegung, konstatierte um 1905: "Das Bicycle hat zur Emanzipation der Frauen aus den höheren Gesellschaftsschichten mehr beigetragen als alle Bestrebungen der Frauenbewegung zusammengenommen." (Bleckmann, Seite 143).
Die "Kavallerie des Proletariats"
Am 3. Februar 1896 wurde der Steiermärkische Arbeiter-Radfahrerbund als erster Verband der Arbeiter-Radfahrer in Österreich in Schönbachers Gasthaus gegründet. Die Abwehrmaßnahmen gegen die geplante Verschärfung der Grazer Radfahrordnung spielten dabei eine wesentliche Rolle. Danbei wurden auch Allianzen mit den Deutschnationalen geschmiedet, wie die Nominierung von Arbeiterführer Hans Resel durch den deutschnationalen Radpionier und Autor A.W.K. Hochenegg zeigte.
"Schnelle Eingreiftruppe"
Hans Resel (1861 - 1928) zählte zu den Protagonisten des frühen organisierten Arbeiterradelns. Er galt als "begeisterter Naturfreund, kühner Bergsteiger und schneidiger Radfahrer" , betrieb die Gründung des Steirmärkischen Arbeiterradfahrer-Bundes (StARB) und leistete einen wesentlichen Beitrag dazu, daß Radfahrkultur in Fabriken und Arbeiterhaushalten Einzug hielt. Der Schneidergeselle war u.a. Grazer Gemeinderat, Landtagsabgeordneter, Landesrat, erster sozialdemokratischer Abgeordneter zum Reichsrat des deutschsprachigen Teils der Monarchie, Begründer des Republikanischen Schutzbundes in de der Steiermark und Mitbegründer der Zeitung "Arbeiterwille".
Mit der Gründung von Arbeiterradfahrer-Vereinen - der erste Arbeiterradfahrer-Verein ist 1893 "Die Biene" in Wien - wurden nicht nur die bisherigen Zielsetzungen des bürgerlichen Radsports in Frage gestellt. Das Motto lautete, zumindest in den ersten Jahren: "Massensport statt Kampfrekord". Es werden auch klare politische Ziele verfolgt, wie aus den Aufzeichnungen des Weggefährten von Hans Resel, des "Arbeiterwille"-Redakteurs und nachmaligen Abgeordneten Michael Schacherl hervorgeht:
"Im Laufe der Wahlrechtsbewegung, wo es sich darum handelte, die Flugblätter aufs Land hinauszubringen, wurde von dem Gründungskomitee im "Arbeiterwille" ein Aufruf an alle Arbeiterradfahrer zum Beitritt erlassen; besonders die Arbeiter, die bisher Mitglieder eines bürgerlichen Radfahrvereines waren, wurden aufgefordert, sich in den Dienst ihrer Klasse zu stellen, also aus der bürgerlichen Organisation auszutreten. Dies geschah und die Arbeiterradfahrer - damals war das Fahrrad das einzige Mittel des Schnellverkehrs auf den Straßen - leisteten bald während des Wahlkampfes und am Wahltage der Partei die größten Dienst." Schacherl bezeichnete die Arbeiterradfahrer als "Kavallerie des Proletariats". Auch von "roter Kavallerie" ist die Rede.
Daß es bei den organisierten Arbeiterradlern nicht nur um die zeitweilige Flucht aus kärglichen Wohnverhältnissen und körperliche und geistige Erholung von der harten Werktätigkeit geht, hat die Behörde bald erkannt. Mit untauglichen Mitteln versucht sie, mit einem Vermerk zu den Satzungen der Gefahr des Mißbrauchs als Vehikel der Agitation entgegenzuwirken: "Die polizeiliche Bewilligung des öffentlichen Tragens des in den Statuten beschriebenen Vereinsabzeichens ist in jenen Fällen hieramts zu erwirken, in welchen der Verein als solcher korporativ öffentlich auftritt."
Immer wieder kommt es zu politisch motivierten Zusammenstößen, bei denen die Radler als "schnelle Eingreiftruppe" dienen, etwa, als es nach der Vereitelung der Wahlrechtsreform im Landtag in Hitzendorf zu Prügeleien zwischen christlichsozialen Parteigängern des Abgeordneten Franz Hagenhofer und 60 Arbeiterradfahrern rund um Hans Resel kommt.
"All frei!", nicht mehr "All heil!"
Gemäß des Ziels "der Loslösung der Arbeiter aus dem Schlepptau des Bürgertums" werden 1897 - 99 zahlreiche Ortsgruppen des Steiermärkischen Arbeiterradfahrer-Verbandes gegründet. Ab 1910 kommen Ortsgruppen des 1899 gegründeten Verbandes der Arbeiterradfahr-Vereine Österreichs VARVÖ dazu, zum Teil mit klingenden Namen wie "Freiheit", "Wanderovgel" oder "Frisch auf". Der VARVÖ hat in seinem Abzeichen neben Handschlag und Hammer sowie Rad eine Freiheitsgöttin mit Jakobinermütze als Zitat der französischen Revolution. Er wird 1927 in Arbeiterradfahrerbund Österreichs umbenannt (ARBÖ), 1932 in Arbeiter-, Rad- und Kraftfahrerbund Österreichs.
Arbeiterradfahrer Knittelfeld 1899
ARV Kraubath 1923: Gemischte Truppe mit interessanten Physiognomien
Bestimmte Gast- und Kaffeehäuser werden als Einkehrstellen empfohlen - etwa das Lokal "List" in Mürzzuschlag -, das in Wien gegründete Fahrradhaus "All frei!" hat später, in der Zwischenkriegszeit, auch Filialen in Leoben und Knittelfeld.
Die Arbeiter-Radfahrervereine sorgen für Radfahr-Unterricht, organisieren gesellige Zusammenkpünfte und widmen sich dem Reigen- und Tourenfahren. Vor allem aber kpümmern sie sich in Zeiten, in denen die Kranken- und Unfallversicherung oder Rechtsschutz noch in den Anfängen stecken, um "Gewährung von Unterstützungen an verunglückte Mitglieder; Gewährung eines Rechtsschutzes durch Beistellung eines Advocaten in durch das Radfahren herbeigeführten Klagefällen", wie es etwa in den Statuten des 19092 gegründeten Arbeiterradfahrer-Vereins "Wanderer" heißt.
Die Vereine werden mit "Großfamilien" verglichen, eine zusammengeschweißte Gruppe, in der persönliche Verbindungen entstehen und sich so manche Ehe anbahnt (ARBÖ 1984, 30). Ausfahrten folgen, wie bei den bürgerlichen Vereinen, genauen formalen Kriterien: "An der Spitze radelte der Fahrwart, und gleich dahinter kam der Bannerwart mit dem schweren B anner und einer prächtig bestickten Schärpe. Anschließend radelten die Frauen, und erst dann folgten die Männer. DasSchlußlicht bildete der Zeugwart, der eine große Luftpumpe mitführte. Immer wieder gab es Pneudefekte. Auch ein Mann mit dem Trinkhorn war mit von der Partie. Radfahren machte Durst. Eine besondere Aufgabe hatte der Trompeter zu erfüllen (...) Die Trompetensignale gingen ins Ohr, sie hatten verschiedene Bedeutung - beispielsweise dann, wenn man in der Kolonne aufschließen oder beim Wirtshaus absitzen sollte."
Als Vereinsgruß der bürgerlichen Radfahrer war "All Heil!" üblich, was bereits Anfang der 80er-Jahre des 19. Jahrhunderts, also mit Entstehen der ersten Bicycle-Vereine, eingeführt wurde. Die Arbeiterradfahrer wählten, wohl um sich abzugrenzen, "All Frei!" Das Vereinsabzeichen ist rund, hat einen weiß emaillierten Rand mit dem Namenszug und in der Mitte ein rot emailliertes Wappen mit Handschlag und Hammer in Metall.
RADSPORTHOCHBURG GRAZ
Das erste Straßenrennen schrieb der Grazer Bicycle-Club für den 14. Oktober 1883 auf der Strecke Graz - Bruck/Mur - Graz aus. Der Sieger August Wagner benötigte für die 100 km lange Strecke 5:44:30 Stunden - er war also mit einem Schnitt von 17,4 km/h unterwegs. Auf den Plätzen landeten Max Kleinoscheg und Alexander Gayer.
Grazer Rennfahrerschule, hinten stehend: J. Schlichtinger, Otto Wokura, Franz Seidl, Alexander Gayer, Ed. Reininger, mittlere Reihe sitzend:
Nicht zuletzt die schlechten Straßenverhältnisse begünstigten in der frühen Zeit die Verlagerung auf die Bahn: am 14. April 1884 wurde im Park der Industriehalle (heute Messe) die erste Radrennbahn Österreichs und mit 690,3 m die längste des europäischen Festlandes eröffnet. Zu Pfingsten 1884 erfolgte der Auftakt zu den legendären "Internationalen Grazer Pfingstrennen". Wie bei allen weiteren dieser Veranstaltung stieg ein großes Sportfest, eingeleitet mit einer festlichen Auffahrt sämtlicher Radfahrer und einem Preiskorso. Schon damals wurde auf dem Hochrad der Kilometer in 2 Minuten, also mit beachtlichen 30 km/h, gefahren.
Militärrennen auf der Grazer Radrennbahnm, 1893. Öffentliches Militär-Wettfahren
Das erste internationale 100-km-Rennen um die Meisterschaft der österreichischen Alpenländer entschied 1887 GBC-Racer Paul Kielhauser für sich. Erster - inoffizieller - Straßenmeister der Steiermark wird 1887 Berthold Diamant, als "Meister der österreichischen Alpenländer" über 100 km auf der Straße bekam er das silberne, mit Brillanten besetzte Edelweiß und blieb auch 1888 bei der Meisterschaft von Österreich im Straßenfahren über 150 km siegreich. Die erste offizielle steirische Meisterschaft ging 1891 an Josef Berghofer vom Pischelsdorfer RV auf einem Niederrad.
Styria-Werbepostkarte. Vermutlich in Lemberg/Polen vertriebene Auflage der bekannten Styria-Werbepostkarte, die Franz Gerger hinter einem Styria-Sechssitzer zeigt und Ende der 1890er-Jahre in großer Zahl und verschiedenen Sprachen in Umlauf gebracht worden ist.
Bemerkenswert waren die Leistungen der frühen Radsportler, die vielfach Bezüge zum Turnen hatten, als Sport-Pioniere: Max Kleinoscheg führte gemeinsam mit Toni Schruf (Mürzzuschlag) und Walther Wenderich (Bruck/Mur) 1890/91 den "Schneeschuh-Sport" in Mitteleuropa ein, zwei Mannschaften des Akademisch-technischen Radfahr-Vereins bestritten 1892 das erste Fußballspiel Österreichs auf dem Platz vor der Landesturnhalle. Auch den Bobsport machten Radler des Brucker RC in diesen Breiten salonfähig.
Gedenktafekl an das erste Fußballmatch in Österreich, das von zwei Mannschaften des AtRV auf dem Platz vor der Landesturnhalle bestritten wurde.
Die Grazer Birnen-Bahn
1888 errichteten der Grazer Radfahrer-Club und der Akademisch-technische Radfahrer-Verein gegenüber der Industriehalle (auf dem Areal des späteren Sportklubplatzes) nach dem Vorbild der Rennbahn im Frankfurter Palmengarten eine 400-m-Bahn. Diese setzte mit ihrer Anlage, wie etwa geneigten Kurven und einer Teerung, neue Maßstäbe im Rennbanbau. Anstatt des üblichen Ovals hatte sie wegen der tangierenden Eisenbahn (Ostbahn) einen birnenförmigen Verlauf.
Der erste wirklich bedeutende Radrennfahrer, den die Grazer Club-Landschaft hervorbrachte, war Dr. Ernst Smreker (GBC): er sicherte sich 1889 die in Graz ausgetragene Bundes-Bicycle-Meisterschaft des österreichisch-ungarischen Radfahrerbundes. Ihm folgten die Brüder Carl und Hans Schneider sowie Franz Urpani. Die Dominatoren der Zeit um die Jahrhundertwende waren Franz Gerger (Dritter bei Wien-Berlin 1893, Sieger Bordeaux-Paris 1895, WM-Dritter 1896 und Europameister 1897 über 100 km auf der Bahn, Inhaber zahlreicher Weltrekorde), und Bruno Büchner, gebürtiger Deutscher, der ebenfalls aus der Grazer Trainingsschule von Alexander Gayer kam.
Franz Gerger
Gayer war übrigens weltweit der erste professionelle Trainer im Radsport. Der bekannteste Rennfahrer aus seinem Stall war Thorwald Ellegaard. Allein sechsmal war er zwischen 1901 und 1912 Weltmeister der Profi-Flieger, dreimal war er Europameister.
Ab1889 wurde das 50-km-Straßenrennen getrennt nach Teilnehmern auf Hoch- und Niederrädern ausgetragen - das letzte Hochradrennen fand übrigens 1892 statt. Ein weiteres Mitglied des GBC, Hubert Endemann, eroberte ab 1889 in Serie Meistertitel im Kunstfahren.
Eine gerade aus heutiger Sicht weniger ruhmreiche Entwicklung hat Wurzeln auch in Graz: Doping. Ab 1894 experimentierten die Mediziner Oskar Zoth und der spätere Chemie-Nobelpreisträger Fritz Pregl mit Steroiden und stellten im Selbstversuch ihre leistungssteigernde Wirkung fest.
Training auf der Grazer Radrennbahn. Hinter erstem motorisiertem Schrittmacher-Tandem: Büchner.
1900 wurde die zweite Grazer Rennbahn aufgelassen. Die Radsportbegeisterung des Publikums hatte nachgelassen, nicht zuletzt wegen strenger Amateur-(Herrenfahrer-) Regeln und der zunehmenden Konkurrenz anderer Sportplätze wie Wien, die interessante Bewerber absaugten. Nach der Jahrhundertwende fanden zwar noch Rennen auf der Trabrennbahn und nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem GAK-Platz sowie im Liebenauer Stadion statt, die große Zeit des Bahnsports in Graz war aber längst vorbei.
Plakat 1947. Ein von der Gestaltung her interessantes Plakat von 1947 kündigt Rennen auf dem GAK-Platz an.
Duell Junior - Puch
Zur Jahrhundertwende verlor Graz seine Position als"Hochburg des Radsports". Dem Einspringen des Brucker Bicycle-Clubs ist es zu verdanken, daß wen igstens der regionale Rennbetrieb aufrecht blieb. Danach ist es die Radsektion des Grazer Athletik-Sportclubs GAK, der "RV Ausdauer 1909" die alten Vereine "Wanderlust" und "Edelweiß" sowie der Postsportverein, die sich um den steirischren Radsport verdient machten.
Nach den gerade in den Reihen der Radsportler verlustreichen Jahren des Ersten Weltkriegs führten in der Zwischenkriegszeit Valentin Luttenberger, Ferdinand Gatternig und Rudolf Ottitsch die Siegerlisten in der Steiermark an. Noch vor der Zweit des NS-Regimes begann die Karriere des Josef Poschgan, 1935-44 Staatsmeister im Einer-Kunstradfahren und jene des Heinz Jager, der u.a. 1938 das erste Grazer Innenstadtkriterium für sich entscheiden konnte und später die Ära des "Junior"-Teams begründete.
Siegesparade in der Annenstraße, 1952. Nach dem Triumph bei der Österreich-Rundfahrt 1952 in der zerbombten Annenstraße - Grazer Rennfahrer um Franz Deutsch (Zweiter von rechts)
Richard Durlacher
Die 50er- und 60er-Jahre waren vom Duell der Werksteams von Junior und von Puch geprägt. Junior holte viermal den österreichischen Mannschaftsmeistertitel, Puch errang mit Richard Durlacher u.a. Siege in der Österreich- und der England-Rundfahrt 1958. Die schillerndste Figur der Nachkriegsjahre war aber Franz Deutsch, von seinem Wiener Sportkollegen Max Bulla einmal als "Dulliöh-Sieger, aufgeputscht mit Wein und Bier" bezeichnet. Er gewann die Österreich-Rundfahrt1951 und 1952 für Junior.
Franz Deutsch
Die 60er- und die 70er-Jahre waren dann die große Zeit der "steirischen Gemse" Felix Damm und Rudolf Mitteregger. Bekannt ist von ihm der verzweifelte Sager, als er bei der Österreich-Rundfahrt 1974 am Gaberl nach einem Defekt minutenlang auf das Betreuerfahrzeug warten mußte: "Wo blei´m denn die Aff´n?" Mitteregger gewann trotzdem, ebenso wie 1970 und 1977, viermal war er Zweiter, viermal Glocknerkönig und achtmal Straßenmeister.
Rudolf Mitteregger 1973 am Gaberl
In dieser Zeit erlebte auch der Saalsport mit Kunstradteams in Graz und Zeltweg einen nie wieder erreichten Höhenflug.
Zeltweger Kunstradteam, 4er-Steuerrohrreigen
Doping im Selbstversuch an der Grazer Universität
Oskar Zoth (1864 - 1933), langjähriger Dekan der Medizinischen Fakultät und 1913 Rektor der Universität, experimentierte mit dem späteren Nobelpreisträger Fritz Pregl (1869 - 1930) mit Hormonen in Form von flüssigem Extrakt aus Stierhoden - erst später konnte das anabole Steroid Testosteron isoliert werden. Ziel der beiden Rad- bzw. Bergsportler war es, mittels Selbstversuch u.a. mit Hanteln die Auswirkung auf den Aufbau der Muskulatur und die damit verbundene Leistungssteigerung zu untersuchen. Zoth stellte zu den Versuchen 1894 fest: "Injectionen orchitischen Extractes befördern in außerordentlichem Masse die Wirkung der Muskelübung."
Oskar Zoth
Der Physiologe verwies auf die überproportionale Leistungssteigerung durch die Kombination von Training und dem Einsatz von Hormongaben: "1. Durch eine Woche subcutane Injectionen orchitischen Extractes bewirken im Verlaufe dieser Periode keine wesentliche Steigerung der Leistungsfähigkeit eines neuromusculären Apparates. 2. Einwoechentliche Übung eines neuromusculären Apparates bewirkt in dieser Zeit höchstens ganz unbedeutende Steigerung seiner Leistungsfähigkeit. 3. Hingegen tritt in derselben Zeit sehr erhebliche Steigerung der Leistungsfähigkeit (bis zu 50 % der Anfangsleistung) auf, wenn während einer einwoechigen Uebungsperiode täglich Injectionen orchitischen Extractes verabreicht werden."
Fritz Pregl
Seinen 1896 veröffentlichten Bericht schloß der Mediziner mit dem Satz: "Das Training von Sportlern bietet eine Gelegenheit für weitere Forschungsarbeiten in diesem Bereich und für eine praktische Beurteilung unserer experimentellen Ergebnisse."
Von der Nachwelt unterschiedlich beurteilt
Damit wurde wohl erstmals in der Geschiche der Vorschlag gemacht, Sportlern hormonelle Substanzen zu injizieren, um ihre Leistungsfähigkeit zu steigern. Füpr Zoth scheint dabei allerdings damals, als der Hochleistungssport noch in den Kinderschuhen steckte, weniger die Wissenschaft im Dienste des Sports als umgekehrt gestanden zu sein. Schwer ist im nachhinein die Frage nach einer ethischen Mitverantwortung zu beantworten, auch wenn der deutsche Radsportautor Andreas Beune wenig schmeichelhaft resümiert: "Zoth selbst sicherte sich einen fragwürdigen Platz in den Geschichtsbüchern."
Freundlicher formuliert war ein Nekrolog, der Zoth´s Hauptgebiete "Blut, Herz und Kreislauf", "Muskel und Arbeitsleistung" sowie "Sinnesphysiologie" vorstellte und ihn als "zeitlebens begeisterter Bergsteiger und Radfahrer" beschrieb. Er sei in den achtziger und neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts "nicht nur eine führende Persönlichkeit in diesen Sportzweigen seiner Heimat, sondern auch ein Pionier der Sportphysiologie" gewesen, schrieb Leopold Löhner.
Arsenik und Schilcher
Auch in der Praxis dürften am Rennplatz Graz problematische Substanzen im Umlauf gewesen sein, wie Michel Angelo Freiherr von Zois, selbst Rennfahrer und Kenner der Szene, in seinem 1908 erschienen Buch "Das Training des Rennfahrers" preisgibt: "Der Gebrauch des Arseniks (Hüttenrauch) ist jedenfalls mit den Grazer Fahrern in die Welt gekommen; der Genuß desselben ist in den Alpenländern unter den Holzknechten des Hochgebirges usw. üblich, um die Strapazen besser auszuhalten."
Zois verurteilt die Sitte als "verwerflich", gehe doch der Arsenikesser elend zugrunde, wenn ihm das Gift entzogen werde. Andere Elixiere waren eher harmloser Natur, wie Zois über seinen Trainer und Freund Alexander Gayer, den Gründer der ersten Trainingsschule Europas, berichtet: "Auch Gayer gab manchmal seinen Leuten vor dem Starte einen Trank ein, das war aber nichts anderes als Schilcher, ein sehr leichter steirischer roter Wein."
"Doping" aus dem Pferdesport
Zoiusm, der mit keinem Wort auf die Versuche von Zoth und Pregl einging, möglicherweise auch davon gar nicht gewußt hat, hatte für derlei Manipulationsversuche nichts übrig: "Überhaupt sind alle Tränke, Salben, Mixturen usw., mit denen manche Trainer arbeiten, nicht nur überflüssige Charlatanerie, sondern auch verwerflich und unnütz. Außer Franzbranntwein, Fluid und Vaseline braucht man nichts, und man sollte jeden Trainer mit einem Tritte aus der Kabine hinausbefördern, der sich mit einer geheimnisvollen Mixtur naht. Wenn er kein Schwindler ist, so ist er ein kompletter Esel..."
Alexander Gayer
Von Zois erfahren wir auch, daß der Begriff "Doping" damals im Pferdesport aufgekommen ist, und daß die damit verbundenen Praktiken dort bereits verboten waren. Dabei sei man vom Grundsatz ausgegangen, "daß Sport dazu diene, den Besten zu erkennen, nicht aber damit ein künstlich über seine Leistungsfähigkeit gebrachtes Wesen siege. Dies ist auch ein Standpunkt, der im Radrennsport gilt."
Vor ca. 70 Jahren wurde die Straßenseite gewechselt
70 Jahre ist es her, daß in Österreich die Straßenseite gewechselt wurde: war man bisher als eines der letzten Länder Kontinentaleuropas auf der linken Straßenseite unterwegs, wurde nach dem Anschluß an Hitler-Deutschland per 1. Juli 1938 auf Rechtsverkehr umgestellt. Dies brachte auch Probleme etwa im Straßenbahnverkehr mit sich, weshalb Wien und sein Einzugsgebiet länger links fahren durfte.
Der Umstand, daß dieser in der Steiermark früher eingeführt wurde als in Niederösterreich, übte, wie der Maler Fritz Breiter aus Neunkirchen in seiner Biographie erzählt, einen besonderen Reiz aus: "Wir Freunde machten uns einen Spaß daraus, mit dem Fahrrad auf den Semmering zu fahren, um das Gefühl auszukosten, auf der Paßhöhe, wo die Landesgrenze verläuft, einfach die Seiten zu wechseln und von der linken auf der rechten Seite weiterzufahren." Mit der Begründung der notwendigen Adaptierungsarbeiten an der Wiener Straßenbahn wurde in der Bundeshauptstadt erst mit 18.September umgestellt. Dies galt auch Niederösterreich und die Wiener Ausflugsgebiete, zu denen auch das Mariazeller Land gezählt wurde.
Linksverkehr in der Grazer Herrengasse 1933
Davor war die Regelung verwirrend: 1915 rang sich Österreich-Ungarn zu einer einheitlichen Lösung durch - und setzte mit der Linksfahrordnung prompt aufs falsche Pferd. Als immer mehr Länder rechts den Vorzug gaben, kam in den 1920er Jahren die Debatte erneut auf. Der vehementeste Widerstand gegen eine Änderung kam aus der Straßenbahn-Stadt Wien. 1929 wollte das Parlament Klarheit schaffen und faßte einen Grundsatzbeschluß für die allgemeine Rechtsfahrordnung. Doch in den folgenden Jahren war man offenbar mit Wichtigerem beschäftigt. So gab es einige Zeit ein zweigeteiltes Österreich: im Westen wurde größtenteils rechts gefahren, im Osten links.
In einer seiner letzten Reden kündigte Bundeskanzler Kurt Schuschnigg an, daß die Umstellung nun wirklich allgemein umgesetzt werde. Abgesehen von Österreich waren am Kontinent nur noch Ungarn, die Tschechoslowakei und Schweden übriggeblieben, wobei letztere beiden Länder schon die entsprechenden Beschlüsse gefaßt hatten, hieß es damals in einem Zeitungsbericht. (In Schweden erfolgte die tatsächliche Umsetzung allerdings erst 1967, in der Tschechoslowakei war es 1938/39 soweit, in Ungarn 1941).
Grund für die schleppende Umsetzung in Österreich waren eindeutig die damit verbundenen Kosten und die insgesamt marode Finanzlage des Staates und der Gebietskörperschaften. Die Kosten für die Änderungen im Tram-System (Lage der Geleise und der Ein- und Ausstiege), in Beschilderung, bei Signalanlagen u. dgl. wurden von Schuschnigg mit 20 Millionen Schilling veranschlagt, weshalb er damnit rechnete, daß die Änderung erst im Herbst 1939 in Geltung treten werde.
Verschlechterungen für Radler/innen
Die Ereignisse überrollten diese Pläne und der politische "Seitenwechsel" beschleunigte jenen auf der Straße. Mit derRechtsfahrordnung werden auch andere, sedit Anfang 1938 in Deutschland geltenden Verkehrsvorschriften übernommen: abgesehen vom Verbot des Nebeneinanderfahrens (außer in geführten geschlossenen Verbänden) stellte die Einführung der - heute noch gültigen - Radwegebenützungspflicht sowie der Passus, der den Kraftfahrzeugen an allen Kreuzungen das Vorfahrtrecht einräumt, nachhaltige Verschlechterungen für die Radfahrerinnen und Radfahrer dar. Zudem werden Tempolimits abgeschafft: "Die bisher bestehenden ziffernmäßig bestimmten Geschwindigkeitsgrenzen stellen besonders im Innerortverkehr eine unbegründete Behinderung des motorisierten Verkehrs dar." Statt dessen wird der Generalpassus eingeführt, wonach die Geschwindigkeit so zu wählen ist, daß der Bremsweg nicht größer ist als die Übersicht über die Fahrbahn reicht.
Am Tag der Einführung notierte die "Tagespost" befriedigt, daß eine der neuen Vorschriften, das Verbot des Nebeneinanderfahrens, bereits Früchte trage: "Erfreulich ist es auch, daß die Radfahrer, denen sich die mehrfachen entschiedenen Ankündigungen der Polizei doch ins Gedächtnis geprägt haben , heute schön säuberlich hintereinander fuhren, anstatt, wie es früher war, zu dritt oder viert in traulichem Gespräch nebeneinander die Fahrbahn zu bockieren." In den Zeitungen wurde jetzt wöchentlich über diue Unfallstatistik berichtet - die Radfahrerinnen und Radfahrer stellen dabei die größte Gruppe. Berichtet wurde, daß Kfz-Lenker vermehrt beim Überholen von Radlern Unfälle verschuldeten, weil sie einen zu geringen Seitenabstand einhíelten.
Doch die vom NS-Regime angestrebte totale Automobilmachung ging nicht auf. Insgesamt konnten die hochgesteckten Erwartungen in eine rasche und breite Bevölkerungskreise erreichende Motorisierung nicht erfüllt werden. "Statt des propagierten Autos nahm der Kauf von Fahrrädern stark zu, was vor allem auf die gestiegenen Einkommen, die Aussetzung der Fahrradsteuer und eine allgemeine Preisreduzierung für Fahrräder zurückzuführen war", resümiert der Zeithistoriker Stefan Karner. Anstelle des in Aussicht gestellten und von vielen schon angezahlten KDW-Wagens machten sich schon bald Restriktionen auch in der Fahrrad-Verfügbarkeit etwa durch Bezugsscheinpflicht bemerkbar.
Steirische Radrennsporttragödien
Das Drama um die Frisch-Brüder
1962 trug die Österreich-Rundfahrt Trauier: in St. Anton am Arlberg liefen Zuschauer über die Straße, der 33jährige Weststeirer Anton Frisch, ob seiner Erfolge im Querfeldein "Waldgigant" genannt, kam zu Sturz und erlag später seinen Kopfverletzungen.
Besonmdere Familien-Tragik: Antons älterer Bruder Hermann, steirischer Bergmeister der Jahre 1957 und 1961, hängte nach dem Unglück den Rennsport an den Nagel, stieg nach Jahren als Senior dann doch wieder - erfolgreich - ein und stürzte im Juni 2001, keine 300 Meter vor seiner Haustür in Ligist entfernt, tödlich. Er starb genau am 30. Todestag seines Bruders. Das nach Anton Frisch benannte Gedenkrennen in der Weststeiermark wurde 25mal ausgetragen - 2002 wurde es als "Frisch-Gedenkrennen" wiederbelebt.
Die Brüder Frisch
Motorrad raste in die Spitze der Steiermark-Rundfahrt
Ein furchtbarer Unfall ereignete sich am 14. September 1985 bei der letzten Etappe der Steiermark-Rundfahrt von Kirchbach nach Graz: ein betrunkener Motorradfahrer - er hatte, wie sich herausstellte, 1,7 Promille Alkohol im Blut - raste trotz Anhalteversuche der Gendarmerie 5 km nördlich des Gratkorn-Tunnels mit ca. 160 km/h in die Spitzengruppe. Der Grazer Norbert Huber, 23, der zwei Wochen vorher mit dem 8. Platz bei der Straßen-WM in Montello den größten Erfolg seiner Karriere gefeiert hatte, starb auf dem Weg ins Krankenhaus. Fünf weitere Radsportler wurden verletzt.
Der Fall erregte beträchtliches mediales Aufsehen. An der Unfallstelle wurde ein Gedenkstein errichtet, das Grazer Altstadtkriterium 1986 wurde als "Norbert-Huber-Gedenkrennen" ausgetragen. Der Unfallenker wurde zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.
Norbert Huber (2. von links) beim Faaker-See-Rennen
15jähriger starb bei Alpentour-Trophy
Es passierte mit rund 60 km/h auf einer Wiesenabfahrt mit einer für die Fahrer schwer einsehbaren Mulde knapp vor dem Ziel der 1. Etappe der Alpentour-Trophy am 17. Juni 2005 in Oberaich: der erste 15jährige Gerhard Tobler aus Lobming stürzte so schwer, daß er tags darauf im Krankenhaus verstarb.
Gegen die Organisatoren wurden Vorwürfe laut: "Wahnsinn, so eine Passage kurz vorm Ziel einzubauen. Noch dazu ohne Beschilderung oder Warnposten. Unverständlich auch, daß weitergefahren wird", klagte der MTB-Crack Heinz Verbnjak, der nach einem Sturz an der gleichen Stelle an der Schulter operiert werden mußte. Außerdem war "derTeilnehmer wohl zu jung und unerfahren, um die Gefahren und körperlichen Anforderungen, die mit einem Start verbunden waren, richtig einschätzen zu können", heißt es entschuldigend in einem Gedenknachruf. Tobler hatte bei der Anmeldung als Alter 17 Jahre angegeben, Dokumente waren nicht geprüft worden.
Gerhard Tobler
DieVeranstalter der Alpentour Trophy: im Gedenken an Gerhard Tobler (27.8.1990 - 17.6.2005)
Im Normalfall lehnt sich ein Veranstalter entspannt zurück, wenn sein Event gelaufen ist und atmet am Ende einer hektischen Zeit zufrieden durch. So war es bisher auch bei der Alpentour Trophy. Diesmal ist aber alles ganz anders. Keine Zufriedenheit - nur Betroffenheit und tiefe Trauer. Und irgendwie auch die Erkenntnis, daß man machtlos ist, wenn das Schicksal grausam zuschlagen will. Der 15jährige Gerhard Tobler ist tot. Das kann niemand mehr ungeschehen machen. Er war am 15. Juni in Oberaich beim Zieleinlauf der 1. Etappe schwer gestürzt und am nächsten Tag im Krankenhaus seinen schweren Verletzungen erlegen.
Wir haben tage- und nächtelang gegrübelt, was da falsch gelaufen ist. Gibt es Schuld? Gibt es Schuldige? Was hätten wir anders machen können, um ein solches Drama zu vermeiden? Man kann immer alles besser machen. Versuchen, alle Fehlerquellen auszuräumen. Unserer Meinung nach haben wir das getan. Aber was ist unsere Meinung im Vergleich zu einem jungen Menschenleben? Natürlich können wir jetzt schwören, alles noch besser, alles noch sicherer zu machen.
Das bringt den 15jährigen Gerhard Tobler nicht zurück. Und es kann auch das Schicksal nicht bewegen, einen anderen Weg einzuuschlagen, wenn es bereits auf einer fatalen Einbahnstraße unterwegs ist. Veranstaltungen wie die Alpentour-Trophy sind auch deshalb für viele Teilnehmer interessant, weil sie unterwegs von einer starken Eigenverantwortung getragen werden. Sie entscheiden, wie sie fahren wollen. Das Maß an Risiko muß der Sportler selbst wählen.
In diesem Fall war der Teilnehmer wohl zu jung und zu unerfahren, um die Gefahren und körperlichen Anforderungen, die mit seinem Start verbunden waren, richtig einschätzen zu können. Aber auch das bringt den jungen Sportler nicht mehr ins Leben zurück. Es kann uns nur dazu bewegen, alle Meldungen in Zukunft noch genauer zu überprüfen. Originaldokumente, wie Geburtsscheine, zu verlangen. Schuld? Ja - wenn unsere Schuld darin besteht, diesem Umstand nicht genug Bedeutung beigemessen und den Anmeldern zu sehr vertraut zu haben, dann sind wir schuldig. Es wird garantiert nicht mehr passieren. Aber auch dieser Schwur kann unsere Betroffenheit und Trauer nicht verringern. Etwas Unfaßbares ist geschehen - und damit müssen wir leben.
Unsere tiefe Trauer und Anteilnahme gilt den Eltern, Geschwistern, Angehörigen und Freunden von Gerhard Tobler. (Regina Stanger und Gerhard Schönbacher)
Familie: bis dato Schüler, lebte mit Eltern und zwei Geschwistern (13 und 12) in Lobming.
Berufsziele: am 1. August 2005 wäre sein erster Arbeitstag im Lagerhaus St. Michael gewesen. Er wollte die Lehre als Kfz-Mechaniker absolvieren.
Hobbies: Mountainbiken, Skifahren, Fischen, Kochen
Lieblingsspeisen: Nudeln aller Art, Spinat und Gnocchi
Haustier: Hase "Bunny"
Seine Ziele: Gerhard setzte sich selber große Ziele, er wollte Radprofi werden und viele Rennen gewinnen. Er träumte schon von der großen Crocodile-Trophy, die ihmnicht mehr aus dem Kopf ging. Leider wollte es das Schicksal anders...
Profi kam am Heiligen Abend bei Autounfall ums Leben
Der jüngste Todesfall unter den steirischen Radrennfharern traf den erst 25jährigen Andreas Matzbacher: er verunglückte am Heiligen Abend 2007 mit seinem Pkw auf der Schnellstraße bei Frohnleiten - am 7. Jänner hätte er seinen 26. Geburtstag gefeiert.
Matzbacher, der in Rein bei Graz wohnhaft und zuletzt als Profi beim Team Volksbank Vorarlberg gefahren war, ist österreichischer U-23-Straßenmeister 2003 und hatte im selben Jahr den 3. Platz bei der Slowenien-Rundfahrt belegt. 2004 siegte er beim Grand Prix von Judendorf-Straßengelund war bei der Ösaterreich-Rundfahrt nahe am "Glocknerkönig", den er auf Geheiß seinem Teamkapitän Gerrit Glomser überlassen mußte. Seine Erfolge würden noch kommen, bedankte sich Glomser damals bei "'Matzi".
Andreas Matzbacher
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